mit dem Geld
Arbeitsbuch Das Geld
von Eske Bockelmann

Lektion 1: Das reine Tauschmittel (196)
Bis heute hält man Geld für eine Erfindung des Menschen und glaubt, dass die Menschen sich Geld zum Mittel ihres Tauschens und zum Diener ihrer Versorgung geschaffen hätten. Und somit sei es ihrem Willen unterworfen. Die Geschichte des Geldes erzählt aber etwas anderes.
Niemand hat Geld je eingeführt, Geld ergab sich und vollzieht sich ohne Absicht und auch ohne, dass es jemand erkannt hätte. Als Geld auftrat, trat es daher auch nicht sichtbar als das Neue auf. Geld tritt vielmehr auf, indem sich die Tauschmittel, die bisher in Dingen bestehen, in eines wandeln, das nicht in ihnen besteht. Was zunächst als Rätsel klingen mag, kann so erklärt werden:
Das Aufkommen von Geld ist historisch bedingt durch das Abhängig-Werden ganzer Gemeinwesen davon, dass ihre Einwohner voneinander kaufen und verkaufen können, was sie zum Leben brauchen.
Also ein Umsturz in der Art und Weise, wie Menschen aufeinander angewiesen sind. Die Geburtsstunde des Geldes ist daher die Geburtsstunde seiner Notwendigkeit. Es ist die Geburtsstunde der Abhängigkeit vom Geld.
Heute kennen wir Geld als das spezifisch eine Tauschmittel, dem alle nur denkbaren Güter, die sich mit ihm kaufen lassen, in ihrer Gesamtheit als Waren gegenüberstehen. Das meinte Misselden 1622: Geld ist der Preis für alle Dinge geworden. Der Unterschied zwischen Tauschmitteln und reinem Tauschmittel, also zwischen den vielen Dingen, die unter anderem Tauschmittel sind, und Geld, das nichts sonst ist als Tauschmittel, scheint auf den ersten Blick verschwindend gering. Und doch tun sich damit alle die Abgründe auf, die zwischen einer Welt ohne Geld und der Welt mit Geld liegen.

Wie würde das Symbol für das reine Tauschmittel aussehen? Eine nackte Zahl?
Wie würde das Symbol für das reine Tauschmittel aussehen? Eine nackte Zahl?
Lektion 2: Das Nominal löst sich vom Material (200)
Geld ist nicht das Material, aus dem eine Münze besteht. Wenn man eine Münze in eine Prägemaschine legt, so wie sie an manchen Aussichtspunkten aufgestellt sind, und zu einer Plakette umpresst, so hat man immer noch das Material in der Hand, aber kein Geld mehr.
Dieser Widerspruch musste auch historisch zu Tage treten, und zwar in der Kipper- und Wipperzeit im ausgehenden 16. Jahrhundert. Durch den steigenden Münzbedarf streckten die Prägeherren die Silbermünzen immer mehr, indem sie andere Metalle beimischten. Auch sammelten sie hochwertigere Münzen in andern Regionen und ersetzten sie mit minderwertigen, indem sie die Münzen wogen. So verdrängte das schlechte Geld die guten, schwereren Münzen, die gehortet wurden.
Wenn die Münzen zu Geld werden, fungieren sie damit zum ersten Mal als Wert, dem die gekaufte Ware als Gegenwert entsprechen soll. Münzen erhalten als Geld einen Nominalwert.
Materialwert und Nominalwert begannen auseinanderzuklaffen.
Das Problem konnte nur gelöst werden, indem man den Geldwert offiziell von ihrem Material löste. Ende des 17. Jahrhunderts wurden deshalb Scheidemünzen eingeführt, deren Materialwert weit unter ihrem Nominalwert lag. Es dauerte aber mancherorts bis Ende 19. Jahrhundert, bis alle Münzen nur noch als Scheidemünzen ausgegeben wurden.

Tetradrachme Athen
Tetradrachme Athen

20 Rappen, Schweiz
20 Rappen, Schweiz
Lektion 3: Das Kreditwesen nimmt stark zu (205)
Der historische Verlauf von den traditionellen Münzen über ihre allmähliche Ersetzung durch Scheidemünzen und weiter zu einer völligen Abschaffung des Bargeldes gehört zur Durchsetzungsgeschichte des Geldes. Als das Geld aufkam, war es das reine Tauschmittel von Anfang an. Aber diese Reinheit braucht ihre Zeit, sich in der Realität durchzusetzen. Das Wesen des Geldes ist erreicht, wenn es nur noch in elektronischer Form auftritt. Als reines Tauschmittel ist das Geld virtuell. Das Aufkommen von Geld in Form von Schulden und Kredit aber wurde schon früh so allgemein, dass bereits 1609 in Amsterdam die erste Girobank gegründet wurde, die Amsterdamsche Wisselbank, gefolgt von Bankgründungen 1619 in Hamburg und 1621 in Nürnberg.
Wechselbuch 1633. Dieses Buch ist ein gedrucktes Kompendium mit dem Titel Ordonnancie ende instructie voor de wisselaers. Es wurde 1633 in Antwerpen herausgegeben. Das Wechselbuch beinhaltet ausschließlich die international kursierenden Gold- und Großsilbermünzen. Es umfasst etwa 1700 Typen mit Vorder- und Rückseite. Während Landesherren genau vorschrieben, welches Kleingeld auf ihren Märkten benutzt werden durfte, waren Goldmünzen wie der Dukat und Großsilbermünzen wie der Taler überall als Zahlungsmittel akzeptiert. Solche Münzen dienten als Art Anker für die Bewertung von Krediten.
Wechselbuch 1633. Dieses Buch ist ein gedrucktes Kompendium mit dem Titel Ordonnancie ende instructie voor de wisselaers. Es wurde 1633 in Antwerpen herausgegeben. Das Wechselbuch beinhaltet ausschließlich die international kursierenden Gold- und Großsilbermünzen. Es umfasst etwa 1700 Typen mit Vorder- und Rückseite. Während Landesherren genau vorschrieben, welches Kleingeld auf ihren Märkten benutzt werden durfte, waren Goldmünzen wie der Dukat und Großsilbermünzen wie der Taler überall als Zahlungsmittel akzeptiert. Solche Münzen dienten als Art Anker für die Bewertung von Krediten.
Ein Wechsel ist ein Wertpapier, das die unbedingte Zahlungsanweisung des Ausstellers an den Bezogenen enthält, bei Fälligkeit an einem bestimmten Zahlungsort eine bestimmte Geldsumme an den Aussteller oder einen benannten dritten Zahlungsempfänger zu zahlen. Aus Herbach: Der Wechsel, Nürnberg 1716, erste Seite.
Lektion 4: Geld führt zum Konzept von Wert (210)
Dass Geld und Wert zusammenhängen, kann niemandem entgehen und bedarf kaum der Erklärung. Doch wie sie zusammenhängen, das ist der springende Punkt. Wert liegt nicht von Natur aus dort, wo wir ihn schon immer für gegeben halten, er liegt nicht in den Dingen, nicht in den Gütern, nicht in den Waren selbst. Hätten die Dinge von Natur aus Wert, müssten sie ihn ja zu allen Zeiten gehabt haben. Und das haben sie nicht. Wenn wir also heute Wert in den Waren sehen und voraussetzen, tun wir das, obwohl er nicht in ihnen liegt. Es muss etwas geben, was uns dazu zwingt.
Bevor es noch mit Geld zugeht, bemessen die Menschen bei einem Kauf nach Schätzung paarweise Gut an Gut, Ware an Ware. Kaufen wir dagegen mit Geld, geht es nicht mehr um Ware gegen Ware, sondern Ware gegen ausschliesslich Geld – immer nur gegen Geld.
Dadurch aber ist Geld zugleich darauf angewiesen, immer wieder weiter gegen Ware getauscht zu werden. Wer für Ware, die er verkauft, Geld bekommt, muss mit diesem Geld wieder Ware kaufen können – sonst wäre für ihn nicht mehr Geld, was er bekommen hat, und er hätte seine Ware für nichts statt für Geld verkauft. Und so kann sich der Schein ergeben, wir hätten es bei einem Kauf mit Geld noch immer mit einem einfachen Ware gegen Ware zu tun, in welchem das Geld lediglich vermittelnd zwischen Ware und Ware tritt. Aber der Schein trügt. Geld ist nicht mehr selbst schätzbares Gut, sondern allein dafür begehrt, dass es sich in schätzbare Güter tauschen lässt.
Geld wird vielmehr selbst das Mass, ein Mass in sich, reines Quantum, als rein für sich bestehende Grösse zwischen den Waren. Geld kann als das reine Tauschmittel, das in virtuell jede Ware zu tauschen ist, selbst nur quantitativ, d.h. als reine Menge bestimmt sein.
Lektion 5: Die Gleichsetzung bei Kauf und Verkauf (215)
Erst Geld bedingt die Form der Gleichsetzung von Kauf und Verkauf. Geld als reines Tauschmittel ist unmittelbar Wert, Wert im Tausch gegen Waren. Den Waren steht Wert in Form von Geld als reine für sich bestehende Menge gegenüber, an der sich die Waren nicht mehr wie in einer andern Ware qualitativ bemessen lassen. Stattdessen lassen sich nun die Waren selbst nur als reine Menge auf die reine Menge Geldwert beziehen.
Bei Käufen mit Geld müssen wir setzen, die gekaufte Ware sei dieser reinen Menge gleich: gleich dem Wert, um den sie zu kaufen sind. Und damit setzen wir, die Ware sei, da einem Wert gleich, selbst Wert.
Durch die Gleichsetzung von Geld und Ware, die wir dabei zu leisten haben, erscheint Wert in beiden, einmal in Form von Geldwert und einmal in Form von Warenwert. Geldwert und Warenwert sind dieser Setzung nach das Gleiche.

Lektion 6: Wert und Preis sind ein und dasselbe (251)
Geld besteht für sich genommen in nichts, als dass es sich in etwas tauschen lässt. Dabei ist Geld der Wert, um den es in Waren zu tauschen ist, und wird deshalb, durch die Gleichsetzung mit ihnen, in Waren als Werte getauscht. Diesen Wert, ihren Wert in Geld, tragen die Waren daher nicht von sich aus, er wird ihnen vielmehr zugeschrieben. Unsere Wertempfindung oder Wertanmutung aber ist die individuelle Schätzung eines Gutes oder einer Dienstleistung, die wir in Geldwert umzurechnen versuchen. Wertempfindung und notierter Preis sind jedoch nicht dasselbe. Dieser Unterschied ergibt sich allein aus dem Schein, den das Geld erzwingt, Wert wäre substantiell gegeben.

Der Wert wird den Waren zugeschrieben, angehängt; sie tragen ihn nicht von sich aus. Der Tauschwertt ist ihr Preis.
Der Wert wird den Waren zugeschrieben, angehängt; sie tragen ihn nicht von sich aus. Der Tauschwertt ist ihr Preis.
Lektion 7: Das Wertgesetz (256)
Geld unterliegt einer banalen, aber strikten Notwendigkeit: Geld muss, um Geld zu sein, als Geld fungieren. Da es in nichts besteht, muss es sich in seiner Funktion jeweils immer wieder bewähren. Das heisst: Geld muss jeweils wieder als es selbst fungieren, indem Menschen es gegen Waren tauschen.
Aber Geld, das sich im Tausch für jemanden in Ware realisiert, realisiert niemals sich in Ware. In diesem Sinne realisiert sich Geld nie. Deshalb sagt man vom Geld: auf immer zu realisieren, niemals realisiert. Im Restaurant zahlen wir zum Beispiel für die Mahlzeit, für uns ist die Mahlzeit gegessen und das Geld ist weg. Für uns ist damit Schluss. Aber auf das Geld trifft dies nicht zu, es bleibt weiterhin als sich zu realisierendes Geld bestehen in der Geldwirtschaft.
Es ist eine Zukunft ohne Gegenwart: Das Geld kennt nicht das geringste Verweilen.
Es wechselt aus der Hand des einen, indem es in die Hand des andern wechselt. Die Gegenwart des Geldes, die Ausübung seiner Funktion, vollzieht sich in einem Zeitpunkt mit der Ausdehnung null.

Das Yoyo - ein Spiel aus der Antike. Es rollt sich immer wieder auf.
Das Yoyo - ein Spiel aus der Antike. Es rollt sich immer wieder auf.

Geld ist immer im Fluss, bleibt nie still. Geld, das sich im Tausch für jemanden in Ware realisiert, realisiert niemals sich in Ware. In diesem Sinne realisiert sich Geld nie. Deshalb sagt man vom Geld: auf immer zu realisieren, niemals realisiert.
Geld ist immer im Fluss, bleibt nie still. Geld, das sich im Tausch für jemanden in Ware realisiert, realisiert niemals sich in Ware. In diesem Sinne realisiert sich Geld nie. Deshalb sagt man vom Geld: auf immer zu realisieren, niemals realisiert.
Lektion 8: Das Mehrwertgesetz (262)
Geld ruht nicht als Wert in den Waren. Geld saugt Waren an und speit sie wieder aus – darin hat es seinen Wert. Geld ist beständig, solange dieser Durchlauf an Waren nicht abreisst. Anders als die Ware, die sich notwendig verbraucht, indem sie gebraucht wird, verbraucht sich Geld ja gerade nicht, solange es als Geld gebraucht wird. Geld erzwingt die Verwandlung der Welt in Waren. Die Frage nach dem wahren oder realen Wert einer Ware hat aber niemals Sinn, denn es gibt ihn nicht. Keine Ware hat je einen Wert, sondern er wird ein Wert für sie gefordert – und der ist ihr Preis.
Geld, das zu mehr Geld werden, Wert, der mehr Wert abwerfen muss: so formuliert sich die Bestimmung des Kapitals. Da der Zwang zu mehr bereits für das Geld als solches besteht, ergibt sich, dass Kapital nichts anderes ist als Geld. Geld ist Kapital. Der aktuell herrschenden Wirtschaftsweise gibt Kapital den Namen, ein Wort, das im Italienischen ab dem 13. Jahrhundert nachgewiesen ist. Es muss nicht nur für jeden Einzelnen mehr an Geld herausspringen, sondern Geld muss in seiner gesamten Menge mehr werden. Das bedeutet, dass jede Geldmenge nicht bloss konstant, sondern exponentiell steigen muss.

Zeichnung von Bruno Moser. Weshalb steigt die Geldmenge exponentiell an? Verzehren wir eine Mahlzeit im Restaurant, ist das Essen weg und das Geld ist aufgebraucht. Für uns ist die Sache erledigt. Nicht so für die Wirtschaft: das Geld bleibt bestehen, obwohl Ware oder Dienstleistung konsumiert sind. Das stellt die Zeichnung dar: das Geld braucht einen nie abreissenden Warenstrom, um sich immer wieder als Geld zu bewähren. Dabei wird die Welt zur Ware, die Geldmenge explodiert exponentiell.
Zeichnung von Bruno Moser. Weshalb steigt die Geldmenge exponentiell an? Verzehren wir eine Mahlzeit im Restaurant, ist das Essen weg und das Geld ist aufgebraucht. Für uns ist die Sache erledigt. Nicht so für die Wirtschaft: das Geld bleibt bestehen, obwohl Ware oder Dienstleistung konsumiert sind. Das stellt die Zeichnung dar: das Geld braucht einen nie abreissenden Warenstrom, um sich immer wieder als Geld zu bewähren. Dabei wird die Welt zur Ware, die Geldmenge explodiert exponentiell.
Lektion 9: Neue Formen von Eigentum, Konkurrenz und Staat (299)
Die drei Phänomene Eigentum, Konkurrenz und Staat werden heute meist für menschlich-ursprünglich angesehen. Und das sind sie auch – aber jeweils in anderer Form als in der vom Geld geprägten. Nur in einer geldvermittelten Gesellschaft konnten sich Eigentum, Konkurrenz und Staat so entwickeln, wie wir sie heute kennen.
Eigentum ist älter als Geld. Aber unsere Ausprägung von Eigentum ist eine von Geld mutierte Form, so wie sie vorher völlig unbekannt war. Als Geldsubjekt muss sich jeder Geld zu eigen machen, nämlich von andern einnehmen, und muss dieses Geld auch andern zu eigen geben, nämlich bei andern ausgeben. So treten sich alle getrennt als Geldeigentümer gegenüber. Jedes Unternehmen ist wiederum ein eigenes Geldsubjekt, bis hinauf zu den Staaten. Der Unterschied wird erst deutlich, wenn man es vergleicht mit Verhältnissen ohne Geld und vor dem Geld. Wenn dort etwas getauscht wurde, wurde es nach einer Schätzung getauscht, die grundsätzlich Gegebenheiten der Gemeinschaft mit einbezog. Der Tausch richtete sich dort nach den Verpflichtungen, die mit den getauschten Dingen verbunden waren. Und von diesen Verpflichtungen bleibt nichts, aber auch gar nichts übrig, wenn sich der Tausch über Geld, also unter Gleichsetzung mit Geld vollzieht.
Heute glauben wir, Konkurrenz sei nötig, deshalb müsse Geld knapp sein. Aber nicht Mangel an Gütern zwingt das Geld zu einer Knappheit, deretwegen alle darum konkurrieren müssen, sondern das Geld zwingt umgekehrt zu Konkurrenz und durch sie zu Mangel – zu einer Knappheit nicht an Gütern, sondern an sich selbst, an Geld.
Über mehr Geld zu verfügen, verleiht einen Vorteil in der Konkurrenz um Geld, und Erfolg in dieser Konkurrenz führt zur Verfügung über noch mehr Geld. Und umgekehrt dieselbe Logik. Wird die Konkurrenz aufgehoben, hebt dies die Notwendigkeit auf, zu Geld und folglich zu Gewinnen zu kommen. Die Sozialismen dieser Welt hatten gedacht, sie könnten das Geld erziehen, und hatten ihm das Konkurrieren untersagt. Das Ergebnis war eindeutig: Das Geld war kein «echtes» Geld mehr und die staatlich vorgeschriebene Mehrwertschöpfung wollte ihm nicht recht gelingen. Auch wenn es stur weiterhin Geld genannt wurde, war es nichts weiter als eine Bezugsberechtigung für Waren.
Machiavelli spricht als Erster von einem Stato und damit ist das Wort gefunden für den «Staat». Den Staat gibt es erst von Beginn der europäischen Neuzeit an. Dem Staat geht es um die Festigung des Staates, um eine Ordnung unabhängig von den Personen, die sie tragen. Ihre Macht ist nicht mehr die von Personen, sondern setzt Personal ein, Leute, die als diese Macht fungieren. Staaten sind souverän: gegenüber ihrem Personal und damit notwendig auch gegenüber ihresgleichen, andern Staaten.

Zeichnung von Bruno Moser.Jedes Stück Land, jeder Vermögenswert muss jemanden zugeteilt sein. Nur dann kann er es verkaufen. So die kapitalistische Maxime. Der Staat achtet mit grosser Härte darauf, dass alle Aktiva im Besitz von jemanden sind, so dass er bei Verkauf und Kauf die Transaktion besteuern kann und das System Geld funktioniert. Denn wozu müssten wir Geld aufwenden, wenn das Gut nicht eindeutig dem Verkäufer gehört? Wir verriegeln die Haustüre, sogar die Autotüre. Aus lauter Angst, jemand könnte sich an unserem Eigentum vergreifen. Was für eine Lebensqualität weist eine solche Welt auf?
Zeichnung von Bruno Moser.Jedes Stück Land, jeder Vermögenswert muss jemanden zugeteilt sein. Nur dann kann er es verkaufen. So die kapitalistische Maxime. Der Staat achtet mit grosser Härte darauf, dass alle Aktiva im Besitz von jemanden sind, so dass er bei Verkauf und Kauf die Transaktion besteuern kann und das System Geld funktioniert. Denn wozu müssten wir Geld aufwenden, wenn das Gut nicht eindeutig dem Verkäufer gehört? Wir verriegeln die Haustüre, sogar die Autotüre. Aus lauter Angst, jemand könnte sich an unserem Eigentum vergreifen. Was für eine Lebensqualität weist eine solche Welt auf?

Franz Kafka, Der Prozess, Roman, 1925.Kafkas Werk Der Prozess fesselt den Leser von der ersten Seite an. Denn was sich da abspielt, könnte tatsächlich jedermann passieren. Man wird angeklagt, aber die Autorität ist anonym, die einzelnen Personen wissen nicht, was die Zentralstelle vorhat. Es war die Zeit, in der sich der Staat beamtisierte; zusammen mit Kafkas Angst vor Autorität nehmen seine Werke ein Eigenleben an. Das Werk wirkt beängstigend und real zugleich. Kafka verarbeitet in seinen Werken seine psychologische Vergangenheit, seine Beziehung zu seinem Vater, zu Autorität und Obrigkeit. Deshalb schrieb Kafka für sich selbst, als Selbstbefreiung. Geblieben ist ein Werk, das an Aktualität nie einbüsst. Für mich ist der Roman ein Symbol für unsere moderne, anonyme Gesellschaft, in der die Kontakte zwischen den Menschen Geldbeziehungen sind. Geld als eine Art anonymes System, in dem jeder, der aus der Norm fällt, sich angeklagt fühlt.
Franz Kafka, Der Prozess, Roman, 1925.Kafkas Werk Der Prozess fesselt den Leser von der ersten Seite an. Denn was sich da abspielt, könnte tatsächlich jedermann passieren. Man wird angeklagt, aber die Autorität ist anonym, die einzelnen Personen wissen nicht, was die Zentralstelle vorhat. Es war die Zeit, in der sich der Staat beamtisierte; zusammen mit Kafkas Angst vor Autorität nehmen seine Werke ein Eigenleben an. Das Werk wirkt beängstigend und real zugleich. Kafka verarbeitet in seinen Werken seine psychologische Vergangenheit, seine Beziehung zu seinem Vater, zu Autorität und Obrigkeit. Deshalb schrieb Kafka für sich selbst, als Selbstbefreiung. Geblieben ist ein Werk, das an Aktualität nie einbüsst. Für mich ist der Roman ein Symbol für unsere moderne, anonyme Gesellschaft, in der die Kontakte zwischen den Menschen Geldbeziehungen sind. Geld als eine Art anonymes System, in dem jeder, der aus der Norm fällt, sich angeklagt fühlt.
Lektion 10: Wie Geld geschöpft wird (317)
Wenn Geld geschöpft wird, wird ja ein blosses Nichts geschöpft. Die Aufgabe besteht bei seiner Schöpfung darin, diesem Nichts die Macht zu verleihen, dass sich mit ihm Etwas kaufen lässt. Die früheste und einfachste Form, in der spezifisch Geld geschöpft wird, sind die zahllosen informellen Kredite, die in der Anfangszeit des Geldes anzufallen beginnen.
Um reinen Zahlen aus nichts eine sehr wirkliche Macht zu verleihen, Geld und Tauschwert zu sein, bedarf es aber einer entsprechend realen Macht, die ebenso weit reichen muss wie die Macht des Geldes selbst. Eine solche reale Macht, die das Bestehen von Geld erfordert, ist der Staat. Damit aber aus der bloss verbuchten Zahl das reale Tauschmittel Geld wird, muss es unbedingt das tun, was Geld grundsätzlich zu tun gezwungen ist: es muss sich von jetzt an immer wieder als Geld bewähren, es muss zu Mehrwert führen, das heisst zu mehr Geld werden. Nur dafür, für diese weitere Bewährung als Wert, kann der Staat das Geld mit seinem ersten Schöpfungsakt vorschiessen. Dazu erteilt er dem Geld genau genommen lediglich Lizenz.
Eske Bockelmann über das Geldmonopol des Staates.

Goethe, Faust, eine Tragödie, mit Zeichnungen von Engelbert Seibert, Gotta’scher Verlag 1854. Goethe war nicht nur Dichter, sondern befasste sich auch mit wirtschaftlichen Fragen. Der Misserfolg von John Laws Geldexperiment in Frankreich machte ihm tiefen Eindruck. In seinem Werk “Faust” verarbeitete er die alte Volksgeschichte Doktor Faustus aus dem 16. Jahrhundert zu einer Wirtschaftsprognose. Den Wachstumsdruck der neuzeitlichen Wirtschaft beschrieb er als “Verbot des Verweilen” - präsentiert als Wette zwischen Faust und Mephisto. Ihm war bewusst, wie spekulativ die Vereinnahmung der Zukunft war. Mephistos Vorschlag, das Gold im Boden als Deckung für “Zettel” (ausgegebene Banknoten) zu benützen, war genial und gefährlich zugleich; das Versprechen war, das Gold könne in Zukunft ans Tageslicht gebracht werden. Mephisto spekulierte darauf, dass das Versprechen nicht eingehalten wird, die Wette damit verloren geht. Genau dies geschieht im 21. Jahrhundert bei angeheizter Konkurrenz um Profite, und wegen fehlenden Profitmöglichkeiten handeln bereits viele Rentenpapiere zu Negativrenditen. Goethes Faust errang den Ruf als die bedeutendste Schöpfung der deutschsprachigen Literatur.
Goethe, Faust, eine Tragödie, mit Zeichnungen von Engelbert Seibert, Gotta’scher Verlag 1854. Goethe war nicht nur Dichter, sondern befasste sich auch mit wirtschaftlichen Fragen. Der Misserfolg von John Laws Geldexperiment in Frankreich machte ihm tiefen Eindruck. In seinem Werk “Faust” verarbeitete er die alte Volksgeschichte Doktor Faustus aus dem 16. Jahrhundert zu einer Wirtschaftsprognose. Den Wachstumsdruck der neuzeitlichen Wirtschaft beschrieb er als “Verbot des Verweilen” - präsentiert als Wette zwischen Faust und Mephisto. Ihm war bewusst, wie spekulativ die Vereinnahmung der Zukunft war. Mephistos Vorschlag, das Gold im Boden als Deckung für “Zettel” (ausgegebene Banknoten) zu benützen, war genial und gefährlich zugleich; das Versprechen war, das Gold könne in Zukunft ans Tageslicht gebracht werden. Mephisto spekulierte darauf, dass das Versprechen nicht eingehalten wird, die Wette damit verloren geht. Genau dies geschieht im 21. Jahrhundert bei angeheizter Konkurrenz um Profite, und wegen fehlenden Profitmöglichkeiten handeln bereits viele Rentenpapiere zu Negativrenditen. Goethes Faust errang den Ruf als die bedeutendste Schöpfung der deutschsprachigen Literatur.
Lektion 11: Geld muss immer wieder erwirtschaftet werden (326)
Beim Geld ist es nicht damit getan, es zu schöpfen. Da es Schulden sind, als die es geschöpft wird, kann sich Geld jederzeit, das heisst bei der Rückzahlung, wieder auflösen. Jede Summe Geld kann sich als bloss geschuldet erweisen, wenn sie nicht ihre Fortsetzung in Mehrwert findet. Es kann jederzeit zu einer Summe werden, mit der sich mehr oder mit der sich weniger kaufen lässt, aber sie kann auch zurückfallen zur leeren Summe, mit der gar nichts mehr zu kaufen ist. Geld selbst ist bereits eine jener berühmten Blasen, die platzen können.
Geld ist spekulativ. Es zwingt alle, die damit umgehen, auf seine Zukunft und auf eine nachfolgende Wertschöpfung zu bauen, deren Erfolg aber niemals zu garantieren ist. Geld muss nicht nur geschöpft, es muss auch erwirtschaftet werden, um als Wert zu bestehen. Die landläufige Vorstellung geht aber unbeirrt vom Gegenteil aus: man würde Geld in etwa so erwirtschaften, wie man einen Acker bestellt; was man an Geld verdiene, liesse sich ernten und fest in Händen halten wie eine Sack Kartoffel. Es wird sich zwar niemand darüber täuschen, dass das Geld ganzer Staaten zwischen den Fingern zerbröseln kann, während zu gleicher Zeit das Getreide auf den Feldern und das Obst an den Bäumen gedeiht. Keine Missernte, sondern allein dass in einem Land nicht genügend Gewinne anfallen, kann dessen Geld inflationär absacken lassen.

5. Banknotenserie der Schweizerischen Nationalbank, 1956
5. Banknotenserie der Schweizerischen Nationalbank, 1956

In den frühen 1950er Jahren engagierte die Schweizerische Nationalbank den Schweizer Grafiker Pierre Gauchat für das Design neuer Banknoten. Thema: was ist Geld? Die Antwort von Gauchat war zweierlei: das gemeine Volk glaube Geld komme von oben, könne vom Baum wie reife Früchte gepflückt und in Säcke abgefüllt werden. Geld zum Teilen in der Gemeinschaft. Das sei die eine Sicht. Die andere Sicht sieht die Notwendigkeit der ständigen Erneuerung vor, dargestellt am Jungbrunnen. Ein ständiger Kreislauf, bei dem sich die Kraft immer wieder erneuert. Meiner Meinung nach ist diese zweite Sicht die richtige, sie trifft den Kern des Geldes am besten. In weiser Voraussicht vergab die Schweizerische Nationalbank der ersten Version die 50er Note, die zweite Version aber die 500er Note, so entsprach die richtige Deutung dem höheren Wert. Das waren die berühmten Allegorien, die schönsten Banknoten, welche je ein Land ausgegeben hat. Die Fr. 100er Note stellte den Heiligen St. Martin dar, Symbol der Barmherzigkeit in Anlehnung an die Kardinaltugend des Mittelalters, während die Fr. 1000-Note den Totentanz darstellte. Der Künstler verstarb wenige Jahre später. Diese Noten waren von 1956 bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts gültig.
In den frühen 1950er Jahren engagierte die Schweizerische Nationalbank den Schweizer Grafiker Pierre Gauchat für das Design neuer Banknoten. Thema: was ist Geld? Die Antwort von Gauchat war zweierlei: das gemeine Volk glaube Geld komme von oben, könne vom Baum wie reife Früchte gepflückt und in Säcke abgefüllt werden. Geld zum Teilen in der Gemeinschaft. Das sei die eine Sicht. Die andere Sicht sieht die Notwendigkeit der ständigen Erneuerung vor, dargestellt am Jungbrunnen. Ein ständiger Kreislauf, bei dem sich die Kraft immer wieder erneuert. Meiner Meinung nach ist diese zweite Sicht die richtige, sie trifft den Kern des Geldes am besten. In weiser Voraussicht vergab die Schweizerische Nationalbank der ersten Version die 50er Note, die zweite Version aber die 500er Note, so entsprach die richtige Deutung dem höheren Wert. Das waren die berühmten Allegorien, die schönsten Banknoten, welche je ein Land ausgegeben hat. Die Fr. 100er Note stellte den Heiligen St. Martin dar, Symbol der Barmherzigkeit in Anlehnung an die Kardinaltugend des Mittelalters, während die Fr. 1000-Note den Totentanz darstellte. Der Künstler verstarb wenige Jahre später. Diese Noten waren von 1956 bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts gültig.
Lektion 12: Potenzierung und Spekulation heute (330)
Für die meisten Menschen, die Geld verwenden, ist nichts davon zu bemerken, dass sie mit ihrem Geld notwendig an einer unablässigen und inzwischen weltweiten Spekulation teilhaben. Sie sind gezwungen zu spekulieren: wer auch nur sein Bankkonto hat und es heute in der Regel ja haben muss, kann nur darauf spekulieren, dass die Bank in der Lage ist, es weiterhin als Geld fungibel zu halten. Das ist kein Vertrauen, das ist ein Sich-darauf-verlassen-Müssen.

The Club no one wanted to join - Madoff victims in their own words. 2009. Bernie Madoff inszenierte den grössten Ponzi-Fall der Geschichte: ein Betrug von US$ 65 Milliarden. Was war sein Verbrechen? Er verstiess gegen das „Verbot des Verweilens“. Seine Aufgabe wäre das Vermehren des Geldes seiner Kunden auf dem Finanzmarkt gewesen. Stattdessen versuchte er gar nicht, mehr Geld zu machen aus Geld, sondern legte es „unter die Matratze“. Bis das Versprechen aufflog. Das war Ende 2008. 12 Monate später entstand dieses Buch, in dem viele Personen, welche ihr Geld verloren hatten, berichten wie das Ereignis auf sie gewirkt hat. Die Mehrheit verharrte in der Opfer-Täter Rolle, aber eine Minderheit begriff nach dem Schock das Ereignis als Chance zur Erneuerung. Das Ponzi-Syndrom gehört zu unserer Zeit: das Versprechen auf finanziellen Profit, das nicht eingehalten wird. Der „Club no one wanted to join“ ist eine Realität. Nach der forcierten Sistierung der Geld- und Wirtschaftslogik 2020 stellte die amerikanische Regierung Trillionen von Dollars zur Verfügung, um die Wirtschaft wieder zu beleben. Aber diese Trillionen wollen sich alle als Geld bewähren, wollen Mehrwert generieren. Wenn dies nicht möglich sein sollte, dann sind wir alle im „club no one wanted to join“. Wird das Verbot des Verweilens gebrochen, das Goethe so meisterhaft vor 200 Jahren beschrieben hat im Faust, wird der Mehrwert nicht mehr generiert, so zerrinnt unser Geld. Eine Vorahnung hat uns der Frühling 2020 gebracht, als der winzige Corona Virus die weltweite Wirtschaftsentwicklung zu Fall gebracht hatte und die Finanzpapiere innerhalb von wenigen Tagen ins Bodelose stürzen liess.
The Club no one wanted to join - Madoff victims in their own words. 2009. Bernie Madoff inszenierte den grössten Ponzi-Fall der Geschichte: ein Betrug von US$ 65 Milliarden. Was war sein Verbrechen? Er verstiess gegen das „Verbot des Verweilens“. Seine Aufgabe wäre das Vermehren des Geldes seiner Kunden auf dem Finanzmarkt gewesen. Stattdessen versuchte er gar nicht, mehr Geld zu machen aus Geld, sondern legte es „unter die Matratze“. Bis das Versprechen aufflog. Das war Ende 2008. 12 Monate später entstand dieses Buch, in dem viele Personen, welche ihr Geld verloren hatten, berichten wie das Ereignis auf sie gewirkt hat. Die Mehrheit verharrte in der Opfer-Täter Rolle, aber eine Minderheit begriff nach dem Schock das Ereignis als Chance zur Erneuerung. Das Ponzi-Syndrom gehört zu unserer Zeit: das Versprechen auf finanziellen Profit, das nicht eingehalten wird. Der „Club no one wanted to join“ ist eine Realität. Nach der forcierten Sistierung der Geld- und Wirtschaftslogik 2020 stellte die amerikanische Regierung Trillionen von Dollars zur Verfügung, um die Wirtschaft wieder zu beleben. Aber diese Trillionen wollen sich alle als Geld bewähren, wollen Mehrwert generieren. Wenn dies nicht möglich sein sollte, dann sind wir alle im „club no one wanted to join“. Wird das Verbot des Verweilens gebrochen, das Goethe so meisterhaft vor 200 Jahren beschrieben hat im Faust, wird der Mehrwert nicht mehr generiert, so zerrinnt unser Geld. Eine Vorahnung hat uns der Frühling 2020 gebracht, als der winzige Corona Virus die weltweite Wirtschaftsentwicklung zu Fall gebracht hatte und die Finanzpapiere innerhalb von wenigen Tagen ins Bodelose stürzen liess.
Eske Bockelmann, Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht. 368 Seiten, Gebunden. Erschienen: 2020. ISBN: 978-3-95757-846-4
Geld regiert die Welt, und die von ihm regierte Welt droht in einer Katastrophe zu enden – sozial und ökologisch. Doch warum bestimmt das Geld überhaupt über den Lauf der Welt? Worin besteht seine Herrschaft, dass selbst die mächtigsten Regierungen vor ihm strammstehen und wir uns kaum vorstellen können, dass es je anders gewesen sein könnte?
In seiner grandiosen Schilderung, wie das Geld in die Welt kam, zeigt Eske Bockelmann entgegen den heute gängigen Überzeugungen, dass sich dieses besondere Tauschmittel erst im Europa des Spätmittelalters durchgesetzt hat – mag es davor auch Märkte und Münzen gegeben haben. Mit einem ungewöhnlich genauen Blick auf die Geschichte und Ethnologie des Wirtschaftens arbeitet er die Unterschiede zu vormonetären Gemeinwesen und ihrem sozialen Zusammenhalt ohne Geld heraus und beleuchtet die Etablierung der Marktwirtschaft in den freien Städten des späteren Mittelalters bis hin zum Platzen der ersten Finanzblase.
Und mit dieser Herleitung des Geldes gelingt es endlich, auch das scheinbar ewige Rätsel zu lösen: was Geld überhaupt ist – und wie es zusammenhängt mit Wert und Kapital, Spekulation und Krise, Staat und Gesellschaft. Seine glänzend geschriebene Untersuchung ist revolutionär, noch über Marx hinaus: Gerade indem sie uns ein neues, tieferes Verständnis der Zwänge und der Allmacht des Geldes verschafft, eröffnet sie uns eine Perspektive auf eine zukünftige Welt, in der das Geld der Vergangenheit angehören könnte.