Historische Grundlagen der

Chinesischen kulturellen DNA

Chinesisches Wort für "Wasser"

Chinesisches Wort für "Wasser"

DIE «CHINESISCHE IDENTITÄT»

Im Gegensatz zum «westlichen» Individualismus, geprägt durch Rationalität zur Überwindung jeder Struktur, die den Fortschritt hemmen könnte, sowie der Vernunft als universelle Urteilsinstanz, wird der «chinesische» Kollektivismus durch den «rechten Weg» definiert:

aus dem Taoismus, dem «Verstand» aus dem Buddhismus, dem «Körper» (Handlungen gegenüber anderen) aus dem Konfuzianismus, sowie den Fundamenten der Diplomatie, der Überredungskunst, der Täuschung, der List und der Strategien herausragender Persönlichkeiten wie Guǐ Gǔ-Zi (410-320 v. Chr., berühmter Strategie und Meister der Kriegskunst).

Die entscheidende Formgebung und Normierung der Charakteristika der «Chinesenheit» fand im Zeitraum Frühlings- und Herbstperiode (770-476 v. Chr.), sowie die Zeit der Streitenden Reiche (475-221 v. Chr.) des antiken China statt.

Die grundlegende Bezeichnung für «Chinesen» in der Chinesischen Sprache lautet «Huá-Rén», welche die historisch-kulturelle Identität als Nachfahren von «Huá-Xià» (alte Selbstbeschreibung des Reichs der Mitte) in die Zeit des Konfuzius (551-479 v. Chr.) legt. Im «Buch der Urkunden» aus der frühen östlichen Zhōu-Zeit (771-256 v. Chr.) ist zu lesen: ‘Unser erlauchtes und großes Land [Huá-Xià] und die Stämme des Südens und des Nordens folgen mir gleichermaßen und stimmen mir zu.

Basierend auf dem Fundament des «Chinesentums» institutionalisierte die Kommunistische Partei Chinas bei der Gründung der VR China 1949 (insbesondere im Zuge der von Dèng Xiǎopíng 1978 initiierten «Politik der offenen Tür») den Begriff «Guó-Qíng» als «Chinas besondere Beschaffenheit» oder «Chinas Charakteristika» und definierte dies als «Hintergrundgeräusch» zur Legitimation des eigenen Machtanspruchs, den Erhalt des «Mandats des Himmels».

Wasser ist die einzige chemische Verbindung auf der Erde, die in der Natur als Flüssigkeit, als Festkörper und als Gas vorkommt. Laotse Zitat: Das höchste Gut ist wie das Wasser. Es nützt jedem, aber es streitet sich mit niemandem.

DIE VOR-QIN-ZEIT – URSPRÜNGE DER CHINESISCHEN HISTORISCHEN UND KULTURELLEN DNA

Die traditionelle chinesische Geschichte umfasst im engeren Sinne die Periode der Xià (2070-1600 v. Chr.), Shāng (1600-1046 v. Chr.), Westlichen Zhōu (1046-771 v. Chr.), Frühlings- und Herbstperiode, sowie die Zeit der Streitenden Reiche.

Diese Zeit repräsentiert Ursprung und Gründungszeit der alten chinesischen Zivilisation.

Die Eroberung der Shāng durch die Zhōu im Jahr 1046 v. Chr. bedeutete einen Meilenstein und wurde zur Veranschaulichung des unbändigen Willens des Himmels, der sein «Mandat» (den Auftrag zum Herrschen) von einem Staat auf einen anderen, mit tugendhaften Herrschern gesegneten Staat, übertrug. 

Während der Frühlings- und Herbstperiode verfiel das Zhōu-Königshaus zunehmend und verlor seinen Status als «Herrscher unter dem Himmel». In den 700er Jahren v. Chr. begann das als «Fēng-Jiàn» bezeichnete Feudalsystem zusammenzubrechen. Die Machtkämpfe, welche die vielen Kleinstaaten miteinander austrugen, brachten 250 Jahre Kriegswirren und Chaos ins Land, eine Periode bezeichnet als die Zeit der Streitenden Reiche.

Die bedeutendste Entwicklung in dieser Zeit stellte der große Durchbruch im intellektuellen Bereich dar.

Die ‘Frühlings- und Herbstperiode’ führte vor allem durch Lǎo-Zi und Konfuzius eingeleitete Durchbruch schließlich zur Bildung einer  dauerhaften, kollektiven Identität – das «Chinesentum».

Lǎo-Zi

Mit ‘Dào’ als Kern seiner Lehre verfolgte Lǎo-Zi in seinem diplomatischen Denken eine Ordnung, die durch ‘Wú-Wéi’ (sich nicht auf menschliche Eingriffe einlassen, sondern alles sich natürlich entwickeln lassen) und Natürlichkeit definiert ist. Zu Beginn von Lǎo-Zis klassischem Werk des Taoismus ‘Dàodé Jīng’ wird der Begriff des ‘Dào’ erklärt: ‘Der Weg, der geschritten werden kann, ist nicht der dauerhafte und beständige Weg; der Name, der benannt werden kann, ist nicht der dauerhafte und beständige Name’

Das ‘Dào’ des Taoismus beschreibt also Weg, Prinzip, Wahrheit, Moral, Vernunft, bzw. Methode aller Lebewesen. Das ‘Dào’ ist die ideale Existenzform im Universum, und die Beziehungen zwischen den Staaten sollten sich an das Prinzip des ‘Dào’ halten.

Konfuzius

Als reisender Berater bot Konfuzius den Herrschern verschiedener Staaten des damaligen Zhōu-Reiches seine Dienste an. Obwohl er bei der Umsetzung seiner Ideen weitgehend erfolglos war, wurden die durch ihn gelegten philosophischen Fundamente zu den Kerntexten der chinesischen Dynastien. Konfuzius stellte sich die Gesellschaft nicht als ein gleichberechtigtes System voller unterschiedlicher Individuen vor, sondern er sah sie als eine Reihe von Beziehungen zwischen Menschen mit definierten Rollen.

Konfuzius legte ein Denkmuster und kulturelles Erbe fest, dem mehr Menschen über mehr Generationen hinweg folgten als irgendeinem anderen menschlichen Wesen auf der Erde. Egal welche Religion, egal welche Regierungsform, in Denkweise und Handeln bei Chinesen und den meisten anderen ostasiatischen Zivilisationen lassen sich in irgendeiner Weise konfuzianische Elemente finden. Trotz der Veränderungen, die wir heute im modernen China sehen, beeinflussen seine Lehren weiterhin indirekt die Art und Weise, wie Chinesen über die Welt denken und fühlen.

Guǐ Gǔ-Zi

Der «Meister aus dem Dämonental» lebte mitten in den Wirren der Streitenden Reiche, in welchen riesige Armeen der verschiedenen Reiche von Befehlshabern angeführt wurden, die die vermeintliche ritterliche Etikette der Kriegsführung in früheren Zeiten aufgegeben hatten und rücksichtslos Feldzüge zur Vernichtung des Feindes führten. Der Zeitraum zwischen 770-221 v. Chr. war einer der am stärksten geteilten in der chinesischen Geschichte, mit etwa 395 Schlachten während der Frühlings- und Herbstperiode und 230 Schlachten in der Zeit der Streitenden Reiche.

In dieser Zeit von Wirren und Chaos leistete Guǐ Gǔ-Zi Pionierarbeit mit der ‘Schule der Vertikalen und Horizontalen Allianzen’, die besagt, dass im internationalen Wettbewerb die strategische Planung ein Schlüsselfaktor für den Erfolg oder Misserfolg einer Nation ist. Guǐ Gǔ-Zi gilt als Vater von Strategien, Verhandlungskunst, List, Täuschung und Diplomatie, welche bis heute ein Kernelement des «Chinesentums» bilden. 

Grundlagen der Chinesischen historischen und kulturellen DNA

Was sind wesentliche Merkmale der chinesischen historischen und kulturellen DNA, welche in den entscheidenden Zeiträumen von der Westlichen Zhōu bis zur Reichseinigung durch die Qín-Dynastie durch die grossen Philosophen, Denker und Meister der Strategien geschaffen wurden und dadurch die Einzigartigkeit des «Chinesentums» geformt und über Jahrtausende verfeinert haben? 

Festigkeit und Stärke des Charakters (Gāng-Jiàn)

Die Idee des ‘unablässigen Strebens nach Selbstverbesserung’ hat viele chinesische Intellektuelle im Laufe der Geschichte inspiriert. Konfuzius betonte «Festigkeit und Stärke», während Lǎo-Zi «Sanftmut und Weichheit» schätzte, welche beide bis heute weitreichende Einflüsse ausüben. 

«Festigkeit und Stärke» sowie «Selbstverbesserung» des Konfuzianismus, sowie die Lehre von «Ruhe und Nichthandeln» des Taoismus haben eine fundamentale Rolle dabei gespielt, die chinesische Identität im Laufe der Geschichte zu festigen.

Der Goldene Mittelweg (Zhōng-Yōng)

Konfuzius legte das Konzept der «Lehre von der Mitte» vor, welches bis heute einen starken Einfluss in der chinesischen Kultur ausübt. 

Der «goldene Mittelweg» ist der moralische Standard des Konfuzianismus - Menschen und Dinge neutral und friedlich zu behandeln, sich der Zeit anzupassen (Wege und Methoden entsprechend der aktuellen Situation zu verwenden), das eigene Handeln der Natur der Menschen und Dinge anpassen, den jeweiligen Gegebenheiten entsprechen – also im Einklang mit der menschlichen Natur handeln, aus welcher die theoretischen Wurzeln des Konfuzianismus stammen.

Ganzheitliche Kultur

In der ganzheitlichen traditionellen Kultur Chinas sind «Gruppe und Selbst», «öffentlich und privat», die Beziehung zwischen «Individuum und Staat» sowie zwischen «Individuum und Welt» ganzheitlich miteinander verbunden. Betonung der Interessen des Ganzen, Harmonie und Einheit des Kollektivs, Schwerpunkt auf moralische Verpflichtung des Einzelnen und Loyalität gegenüber dem Kollektiv, waren immer Werte, die von der traditionellen chinesischen Kultur betont wurden.

«Chinesentum» bedeutet im traditionellen Kontext «gemeinsame kulturelle chinesische Identität»: alle Chinesen bringen ihr Denken, Handeln und Leben in der Gesellschaft in Einklang mit «Tiān-Mìng», den ‘vom Himmel sanktionierten Prinzipien.’ Von Individuum und Gesellschaft wird erwartet, dass sie sich in Sprache, sozialem Umgang und täglichem Leben «zivilisiert» verhalten.

Die Erwartung einer bescheidenen Höflichkeit des Einzelnen und der ganzen Gesellschaft stellt eine unabdingbare Notwendigkeit für ein friedliches Zusammenleben der Menschen angesichts der immensen Bevölkerung Chinas dar. Diese Grundannahme des «Chinesentums» durch den Konfuzianismus ist tief in der chinesischen Kultur verwurzelt.

Herausstechen durch Anpassen

Im Verlaufe der chinesischen Geschichte wurde die aus den Hauptelementen Taoismus, Konfuzianismus, Buddhismus bestehende DNA des «Chinesentums», angereichert mit dem Wissen an Strategien, Diplomatie, Täuschung und Überredungskunst, über Jahrtausende getestet, verfeinert, angepasst und gestärkt.

Dabei erwies es sich meist am besten, manchmal ‘nach Aussen Konfuzianismus und nach Innen die buddhistische Lehre (dem Folgen von Gesetzten und Ordnung des Kosmos’)’, bzw. manchmal ‘nach Aussen Festigkeit und Stärke und nach Innen Sanftmut und Weichheit’ anzuwenden: dadurch wird eine enorm rasche Anpassung auf geänderte Umstände möglich, die Macht des Souveräns kann durch «Wú-Wéi» auf das Notwendigste beschränkt werden. Nur dadurch konnte Chinas Reform- und Öffnungspolitik seit 1978 überhaupt in Angriff genommen und schliesslich erfolgreich umgesetzt werden.

Bezüglich Konfuzianismus und Daoismus hat der berühmte chinesische Literaturwissenschafter und Gelehrte Nán Huáijǐn (1918-2012) einmal folgende Analogie gezogen:

'Der Konfuzianismus ist wie ein Getreidespeicher: er darf nicht bekämpft [geschlagen, angegriffen] werden. Andernfalls, wenn der Konfuzianismus besiegt [gestürzt] wird, werden die Menschen keine Nahrung zu essen haben - keine geistige Nahrung;

der Buddhismus ist wie ein Kaufhaus in einer großen Stadt: hier gibt es alle Arten von Dingen des täglichen Bedarfs, und man kann einkaufen gehen, wann immer man will; hat man Geld, kann man ein paar Dinge kaufen, hat man kein Geld, kann man einfach einen Rundgang machen, niemand wird daran gehindert [dorthin zu gehen oder einzutreten], aber alles, was darin ist, ist notwendig für das Leben;

der Taoismus ist wie eine Apotheke: wenn man nicht krank wird, braucht man sich ein Leben lang nicht darum zu kümmern, aber wenn man krank wird, muss man automatisch dorthin gehen.'