Fortunatus und das Neue Geld
45 Holzstiche der Originalversion 1509
Einführung durch Tagesspiegel
(Glückssäckel und Zauberhütchen, 2009)
Das Buch erschien vor 500 Jahren in „der kayserlichen stat Augspurg“ und erzählt von drei Generationen einer Patrizierfamilie auf Zypern. Wer den „Fortunatus“ verfasst hat, ist unbekannt geblieben. Der Vater der Patrizierfamilie, Theodorus, bringt das gesamte Familienvermögen durch, indem er unstandesgemäß als Adliger auftritt – jagt, tafelt und sich duelliert (ohne dabei die Vermögensgrundlage der Adelsklasse zu besitzen: die Ländereien). Sein Sohn Fortunatus ist gezwungen, in Diensten eines Grafen Zypern zu verlassen und in die weite Welt zu ziehen. Seine und seiner beiden Söhne Abenteuer sind der Stoff des Buchs.
„Fortunatus“ ist nicht nur als eins der wichtigsten deutschen Volksbücher erinnernswert: Zusammen mit „Till Eulenspiegel“ und „Reineke Fuchs“ hat es in der europäischen Kultur eine tiefe Spur hinterlassen. Es ist auch ein Vorbote der literarischen Revolution, welche die Ablösung des Verses durch die Prosa als Erzählinstrument einleitete. Doch das berühmte „Fortunati Glückssäckel“ macht es nicht nur für die Germanisten interessant, sondern für alle, die Geld bekommen und Geld ausgeben.
Fortunatus wird zum richtigen, ja zum eigentlichen Fortunatus erst, nachdem er Fortuna trifft, die „junckfraw des glücks“, die ihm mehrere Gaben zur Wahl auftischt: Weisheit, langes Leben und Reichtum. Fortunatus wählt – gegen alle im Mittelalter gängigen Vorstellungen und Werte – das Letztere. Er meint anscheinend, dass man mit Geld auch eine gute medizinische Versorgung und damit ein langes Leben und auch eine gute Bildung und Beratung und damit die Weisheit kaufen kann (aus heutiger Sicht nicht unbegründet). Und er bekommt ein „Glückssäckel“, in dem immer Geld liegt, praktischerweise in der Währung des Landes, in dem sich der Säckelbesitzer aufhält. Eine Goldene Kreditkarte, würden wir heute sagen. Später bekommt Fortunatus auch ein Zauberhütchen dazu, das ihn an jeden Ort der Welt befördern kann.
Die Wahl, die Fortunatus getroffen hat, ist im Prinzip der Weg, den um die Zeit der Entstehung des Buchs ganz Europa eingeschlagen hatte – der Weg des Geldes und der Fortbewegung, der Weg aus dem Mittelalter in die Neuzeit und weiter zu den heutigen Zuständen, die sich erstaunlich gut mit „Fortunati Glückssäckel“ und „Zauberhütchen“ als Sinnbildern beschreiben lassen. Zum Beispiel die Finanzbeziehungen auf allen Ebenen: eines einzelnen Bürgers zu seiner Bank, einer Firma oder gar einer Industrie zu ihren Geldgebern und Teilhabern, einer Wirtschaft zum Staat (oder von Zeit zu Zeit umgekehrt), eines Staates zur EU.
In diesen Begriffen stellt die heutige Finanzkrise quasi eine Funktionsstörung des „Fortunati Glückssäckels“ dar: Man steckte seine Hand in den Beutel, dieser war jedoch leer. Oder fast leer. Jetzt sitzt man und wartet, bis sich die Zauberkraft des Säckchens wiederhergestellt hat.
Fortunatus selbst benutzt seinen unerschöpflichen Reichtum sehr weise: Er baut seiner Familie einen Palast auf Zypern und heiratet eine Grafentochter, was nicht nur einen sozialen Aufstieg bedeutet, sondern auch eine Revanche für seinen Vater Theodorus. Im Großen und Ganzen ein gutes Leben. Seinen zwei Söhnen – Ampedo, dem Ruhigen, und Andolosia, dem Abenteurer, hat die Fee ebenfalls den Reichtum versprochen, und was machen sie aus ihrem Leben?
Trotz des Zauberbeutels führen sie – in erster Linie durch die Dummheiten des Draufgängers Andalosia, aber auch durch die Feigheit Ampedos – die Familie in den Ruin. Und gehen ruhm- und sinnlos unter: Andolosia wird von Räubern getötet, Ampedo stirbt an seiner Trauer.
Eben deshalb ist es zu empfehlen, das alte Buch wieder und sehr aufmerksam zu lesen – um einen neuen, unerwarteten Blick auf unsere Zeit zu gewinnen. Die Schicksalsfrage dabei lautet: Sind wir, die postmoderne Gesellschaft, noch mit Fortunatus zu vergleichen, der mit seinen Zaubersachen einigermaßen umzugehen wusste, oder eher mit seinen Söhnen?
Fortunatus Vater konnte seinen Lebensstil im Feudalwesen nicht mehr halten; es war die Zeit des Zerfalls des Feudalsystems. Der Sohn musste sein Glück in fernen Landen suchen. "Ich will in fremde Länder gehen und Dienst suchen. Es ist noch viel Glück in dieser Welt, und ich hoffe zu Gott, dass mir davon auch ein Teil wird", sagt der Sohn zum Vater.
Fortunatus ist ein guter und erfolgreicher Knecht, im Turnier gewinnt er Preise. Es ist offensichtlich, dass die beschriebene gesellschaftliche Kultur eine höfische ist.
Sein Erfolg aber fordert Neid und Hass der andern Knechte heraus. Mit List wird der gutgläubige Fortunatus vertrieben durch den alten und listigen Knecht Rupert. Die Geschichte einer Intrige.
Kapaunen heisst kastrieren. Aus Angst davor flieht Fortunatus nach London, Zentrum des Handels - "wo Kaufleute aus allen Orten der Welt ihren Handel treiben".
Die Geschichte geht weiter, wie Fortunatus in böse Gesellschaft und zu leichten Frauen kommt, all sein Geld vertut und danach Armut erleidet.
Eine der vielen Seitengeschichten zeigt, wie mancher faule Sohn sich samt seinem Vater ins Verderben stürzt, der ihm zu sehr vertraut und der zuviel blinden Glauben auf seinen Sohn setzt. Nur eigener Fleiss, nicht der Stand, führt zu Erfolg.
Gestohlen wird noch kein Geld, sondern Schmuck. Aber List und Hinterhältigkeit, Ausnützen von Freundschaft sind die Methoden damals wie heute.
Der König vermisst seinen Schmuck. "Obwohl ihm der Edelmann lieb war, so liess er doch nach den Schätzen eifriger forschen als nach dem ehrbaren Edelmann, woran man wohl merken kann, dass alle Liebe aufhört, wenn es um Geld und Gut geht."
So liess der König alle Involvierten hängen ("es ist kaiserliches Recht, dass niemand einen Mord verschweigen soll"), nur Fortunatus verbannte man aus dem Lande, denn er wusste tatsächlich nichts. Dass anschliessend der Schmuck per Zufall wieder zum Vorschein kam, änderte am Schicksal der Involvierten nichts mehr. Es zeigt die Willkür in der Feudalherrschaft.
Inzwischen ist Fortunatus in Frankreich angekommen, findet aber keine Arbeit. Er verirrt sich im Wald und wird bald bedroht von einem Bär.
Nach einem Schlaf tat er seine Augen auf und sah eine gar schöne Jungfrau vor ihm stehen. Sie sagte: "Ich habe die Gewalt über Weisheit, Reichtum, Stärke, Gesundheit, Schönheit und langes Leben. Davon erwähle Dir eine Tugend." Fortunatus entschied sich sofort für Geld.
Fortuna zeigte Fortunatus den Weg aus dem Wald, und bald entdeckte er eine Herberge. Er schnappt dem Waldgrafen zwei begehrte Rosse weg, der aber hatte die Gerichtsbarkeit im Ort und liess Fortunatus ins Gefängnis werfen. Schliesslich war Fortunatus kein geborener Edelmann, auch wenn er über Geld verfügte ("... denn er hat das Geld entweder gestohlen, geraubt oder aber jemanden ermordet".)
Mit Glück kam Fortunatus nach Nantes, Hauptstadt der Bretagne.
Bald ist die Rede auch von Geld: "... denn ohne Geld ist nichts zu machen". Fortunatus sprach zu Lüpoldus: "Sorge nicht, ich weiss in jedem Lande genug an Geld aufzubringen". Es folgen einige Reisen, vor allem in die Höhle des Sankt Patricius. Aus der dunklen Höhle kamen sie nur mit Glück wieder ans Tageslicht.
Und hier erfüllt Fortunatus eines der Versprechen an Fortuna, nämlich einem Mann mit einer armen Tochter, die zwar heiratsfähig ist, der er aber wegen seiner Armut keinen Mann geben kann, mit 400 Goldkronen zu helfen.
Der Wirt stahl den Säckel des Fortunatus, das war ein grosser Schock.
Fortunatus war wohl fünfzehn Jahre weg gewesen, und als er in die Heimatstadt Famagusta kam, wurde ihm gleich gesagt, dass sein Vater und seine Mutter gestorben wären. Die Menschen aber wunderten sich, woher Fortunatus grosser Reichtum gekommen sei, da sie wussten, dass er in grosser Armut abgefahren war.
Eine durch und durch höfische Szene ... noch fehlt Fortunatus Land und Leute. So arrangiert der König den Kauf einer Liegenschaft des verarmten Grafen von Ligorno. So kam nun Fortunatus zu Leuten und zu Stand.
Fortunatus wusste, dass die Tugend des Glücksäckels seine Kraft verlieren würde, wenn er nicht eheliche Leiberben erhielte.
"Ich habe die eine Hälfte der Welt gesehen, so will ich nun die andere Hälfte auch noch sehen, und sollte ich auch mein Leben darum verlieren", meint Fortunatus.
Der Sultan zeigt Fortunatus sein Wunschhütlein, ein ganz normaler Filzhut. Wenn jemand ihn aufsetzt, so kann er wünschen an irgend einem Ort der Welt zu sein. Er setzte es Fortunatus auf den Kopf zum probieren. Und schon war Fortunatus weg. Alles Suchen nützte nichts mehr.
Der Sultan schickt einen Botschafter nach Famagusta, um sein Hütlein wieder zu erhalten. Aber alles Verhandeln nützte nichts ... So verklagte der Sultan Fortunatus beim König von Cypern, der sein Landesherr war. Aber: Ein Heide kann in der Christenheit gegen einen Christen nichts ausrichten.
Nach vielen weiteren Jahren, nachdem seine Gemahlin gestorben war, sah auch Fortunatus seine Stunde für gekommen. Er offenbarte nun seinen beiden Söhnen die zwei Schätze, den Säckel und das Wunschhütlein. Er legte ihnen nahe, niemandem etwas davon zu erzählen.
Es waren zwei Söhne, Andolosia eher draufgängerisch, Ampedo zurückhaltend. Entgegen der Mahnung des Vaters, sorgsam mit Säckel und Hütlein umzugehen und diese nie zu trennen, nimmt Andolosia den Geldsäckel und begibt sich auf die Reise. Ampedo dagegen füllt sich zuerst zwei Truhen mit Goldmünzen, auch er weit weg von der imaginären Kraft des Säckels.
Schon bei der ersten Frauengeschichte merkt man, dass Andolosia keine Achtung hat vor der geistigen Kraft des Glückssäckels, sondern nur dessen materielle Kraft schätzt. Interessant ist die Tatsache, dass auch die Frauen ihren Profit optimieren wollen. Schon damals verdienten die Advokaten mehr am Händel als die Streitsumme wert war, so der Roman.
Andolosia lehnt auch das Angebot des Königs ab, eine Hofdame zur Frau zu nehmen - denn sie war nicht hübsch. Und schliesslich hatte er genügend Münzen.
Schon bald wunderten sich die Leute, woher Andalosia all die Münzen hat, mit denen er so prahlte. Dies ganz im Gegensatz zur vorsichtigen Handhabe des Vaters. So war er auch unvorsichtig genug, das Geheimnis des Säckels zu erzählen. Und so wurde ihm der Geldsäckel gar gestohlen.
Wie in einem guten Roman nimmt die Geschichte viele Wendungen, aber letzten Endes ist die Einfalt grösser als das Glück. Der Spruch "Wenn sich das Glück wieder zu mir kehrt, so will ich alles wieder vergelten" zeigt Passivität oder gar Dummheit.
Der Höhepunkt täuscht, bald kommt die Wende und damit das Ende: Streit um die Quelle des Münzreichtums und gerechte Strafe.