Das Geld

Was es ist, das uns beherrscht.

Unter den vielen Geldbüchern mit ihren Details gibt es ein Werk, dem die Gesamtschau über Geld gut gelungen ist.

Es liest sich wie Prosa, das heisst ist leicht lesbar, verlangt aber zum Verständnis das Fallenlassen von Vorurteilen. Dieses Rätsel, im folgenden noch genauer beschrieben, lohnt sich zu ergründen.


Im Buch „Das Geld“ wird beschrieben:

EINS: wie es historisch zu Geld kommt

ZWEI: was Geld ist

DREI: was Geld spezifisch bewirkt und erzwingt

EINS

Die bis heute bekannten Erklärungen dafür, wie Geld historisch entstanden sei, gehen dadurch fehl, dass sie bestimmte Verhältnisse, die heute spezifisch durch das Geld geprägt sind, unwillkürlich auf alle Zeiten rückübertragen.

Geld kommt nicht schon auf, sobald nur getauscht, gekauft oder gehandelt wird oder sobald es etwas wie Münzen gibt.

Zu Geld und damit zu dieser Vorstellung von Wert und Äquivalenz kommt es erst und ausschließlich dort, wo ein ganzes Gemeinwesen nicht mehr nur peripher mit Kauf und Verkauf umgeht, sondern von Kauf und Verkauf lebt.

Nur eine solche Gesellschaft ist auf den kontinuierlichen Einsatz eines Tauschmittels angewiesen und abhängig von dessen ständigen Umlauf.

So entsteht Geld als gesellschaftliches Verhältnis, nicht etwa, indem Menschen es als Ding erfunden hätten. Es entsteht aufgrund historischer Veränderungen. Zu Veränderungen dieser Art kommt es historisch weltweit singulär im Europa des späteren Mittelalters. Ganz eigene Bedingungen schwächen dort den feudalistischen Zusammenhang mit seiner redistributiven Versorgung der Menschen, in welcher Kauf und Verkauf − wie bis dahin überall auf der Welt − lediglich eine Nebenrolle spielten. 

In den „freien Städten“ Europas, die aus dem feudalistischen Zusammenhang herausfallen, muss deshalb an die Stelle dieser Versorgung eine nicht mehr über persönliche Abhängigkeiten vermittelte treten, also eine Versorgung, die in der Hauptsache nur noch über Kauf und Verkauf verläuft. Der historische Umschlag, mit dem schließlich eine ganze Gesellschaft von Kauf und Verkauf lebt, erfolgt in einem Zeitraum gegen Ende des ‚langen‘ 16. Jahrhunderts. Dies markiert zugleich den Beginn der Neuzeit − und nicht zufällig: Denn das gesellschaftlich Neue, woraus sich das Geld ergibt, erzwingt noch weitere historisch höchst bedeutende Phänomene.

Das gab‘s schon immer.

Das gab‘s schon immer.

Hier kann man alles kaufen.

Hier kann man alles kaufen.

ZWEI

Geld ist also nicht bloß allgemein Tauschmittel, Geld ist reines Tauschmittel.

Fiorino d‘oro von Florenz

Fiorino d‘oro von Florenz

Der Zahlenstrahl

Der Zahlenstrahl

Bevor sich mit der gesellschaftlichen Notwendigkeit seines Umlaufs überhaupt erst Geld ergibt, dienen zum Tausch immer nur Dinge und Güter. Diese, auch in Gestalt von Münzen, sind ausnahmslos Dinge unter Dingen.

Geld dagegen besteht als das reine Tauschmittel in nichts, ist zu nichts als zum Tauschen zu gebrauchen, zu Kauf und Verkauf. Und das gilt von seinen ersten Anfängen an, auch wenn sich die nötigen Verkehrsformen dafür teilweise erst im Verlauf der weltweiten Durchsetzung des Geldwesens herausbilden. Geld besteht nicht mehr in etwas, das sich außerdem tauschen lässt, sondern besteht in nichts als darin, dass es sich in etwas tauschen lässt. 

Geld muss fortgesetzt in Güter getauscht werden, um überhaupt Geld zu bleiben: weil es in sonst nichts besteht. Allein um als Tauschmittel fungieren zu können, zwingt nur Geld zu einem ständig fortgesetzten und jeweils immer wieder seiner Menge entsprechenden Verbrauch von Welt – zu dem Konsum, der deshalb ständig angekurbelt wird.

Dabei wird Geld als reines Quantum einem zu kaufenden Gut gleichgesetzt. Und so entsteht überhaupt erst die Vorstellung von Wert und Äquivalenz, die so zwingend mit Geld zusammenhängt. Geld erzwingt unsere Vorstellung von Wert als eines gemeinsamen „Dritten“, das in sämtlichen Waren gegeben wäre. 

DREI

So tief wie die historische Veränderung der gesellschaftlichen Grundlagen reicht, in denen die Menschen nicht mehr in der Hauptsache über persönliche Verpflichtungen, sondern über Geld zu einer Gesellschaft vermittelt sind, so weit reichen auch die Folgen. Als solche Folgen erklären sich diese mächtigsten Phänomene der Neuzeit: Staat, Kapitalismus, europäische Expansion.

Staat

Dieser Name findet sich für Gemeinwesen erst dann, als sie sich vom Personenverband zu modernen Staaten wandeln, zu souveränen und abstrakten, nach der „Staatsräson“ durch Personal gelenkten Staaten. Auch dieser Wandel vollzieht sich zunächst allein in Europa und nicht umsonst zur gleichen Zeit, als dort das Geld aufkommt.

Er erklärt sich so: Eine Gesellschaft, in der sich alle hauptsächlich über Kauf und Verkauf versorgen müssen, lebt folglich von dem einen Tauschmittel, über welches jeder verfügen muss. Dieses Tauschmittel, das Geld, stellt die gesellschaftsweit gültige Macht dar, mittels Kauf die Verfügung über Güter anderer Leute zu erhalten. Da Geld aber für sich genommen in nichts besteht, was ihm diese Macht verbürgen könnte, muss sie ihm durch eine äußere Macht garantiert werden: eine reale Macht, die sich herausbilden muss, um jene Zugriffsmacht des Geldes gesellschaftsweit durchsetzen zu können.

Eine solche Art der höchsten Macht hatte bis dahin keinen Sinn und hatte es bis dahin nirgends gegeben: Es ist der moderne „Staat“. Dieser Staat, wie wir ihn kennen, wird damit zugleich zum höchsten wirtschaftlichen Subjekt, da es in seinem spezifischen Interesse liegen muss, das Geld und den Fortgang der über Geld vermittelten Geschäfte nicht bloß zu sichern, sondern mit allen Mitteln auch zu befördern. Der Staat verpflichtet die zu seinem Staatsvolk gemachten Menschen auf das Geld mit allem, was dazu gehört. 

Kapitalismus

In einer Gesellschaft, in der alle von Geld als dem einen Tauschmittel leben müssen, muss also jeder zu Geld kommen, um davon leben zu können. Zu Geld aber kommt jeder nur, indem er anderen etwas gegen Geld verkauft. Um ein solches etwas verkaufen zu können, wird er in der Regel bereits selbst Geld aufwenden müssen, eben weil in einer solchen Gesellschaft die Dinge, Güter und Dienste allgemein nur gegen Geld zu bekommen sind. Folglich muss jeder, um zu Geld zu kommen, mit etwas, das ihn selbst bereits Geld kostet, zu mehr Geld kommen, als es ihn kostet. Aus eingesetztem Geld muss mehr Geld werden. Wer nicht ausreichend Geld-Gewinne macht, geht bankrott und geht unter.

Der Zwang, mit Geld Gewinne in Geld zu erwirtschaften, gehört unweigerlich zum Geld und zu einer Wirtschaft, die mit Geld umgeht. Die Notwendigkeit der Vermehrung von Geld ist die Funktion von Kapital. Als Kapital fungieren zu müssen, gehört demnach unmittelbar zum Wesen von Geld. Als Geld aufkommt, kommt daher mit dem Geld auch der Kapitalismus auf: der Vermehrungszwang des Geldes, die Notwendigkeit, als Kapital zu fungieren.

Gegen die Erkenntnis, dass Geld als solches die Menschen unter einen Zwang setzt und dass dies zu seinem Wesen gehört, sträubt sich heute starker Widerwille. Ein „Wesen des Geldes“ wird geleugnet und verdrängt zugunsten des Glaubens, die Menschen hätten das Geld erfunden und könnten es entsprechend auch nach Lust und Laune modeln: zu Geld, das seinen Wert nicht verlieren kann, zu Geld, das keinen Profit abwerfen muss, zu Geld, das sich mit seiner gerechten Verteilung verträgt, oder schlicht zu Geld, das nur noch Gutes tut, weil es ausschließlich in gute Unternehmungen fließt.

Die europäische Expansion oder „Die Unterwerfung der Welt“

Mit dem Geld ersteht eine bis dahin unbekannte Logik, der es das Leben der Menschen unterwirft und nach der sie zu handeln gezwungen sind. Wo es Geld gibt, kann den Menschen nicht mehr wie in ihrer gesamten übrigen Geschichte nur daran gelegen sein, zu den Gütern zu kommen, mit denen sich gut leben lässt. Stattdessen müssen sie vorher und als Erstes unweigerlich darauf aus sein, zu Geld zu kommen, wofür sich dann solche Güter allenfalls bekommen lassen. Zu Geld aber kommen sie nur, indem sie die Güter dieser Welt zu Geld machen, nämlich zu Waren, für die man von anderen Geld bekommt. 

Da Geld reines Quantum ist mit dem Zwang zu ständiger Vermehrung durch seinen Einsatz als Geld, also durch jenes In-Wert-Setzen von Teilen dieser Welt, ist der Zwang dazu unbegrenzt

Dem Interesse der Geldlogik, das alle Grenzen zu überschreiten zwingt, entspricht die grenzenlose Gewalt, mit welcher der expansive Zugriff auf die Welt betrieben wird. Es ist eine Gewalt, die ohne die Geldlogik keinen Sinn hatte − bei aller Grausamkeit, zu der die Menschen auch vorher fähig waren. Die von den Geld-Nationen unterworfenen Völker kannten weder Sinn noch Logik einer Gewalt, die auf eine unbegrenzte Bereicherung an Werten abzielen muss. Daher rührt die überlegene, nämlich unbeschränkte und den Unterworfenen in ihrer Logik unverständliche Gewalt der Europäer. 

Gegenwart und Umwelt

Die Welt heißt „Umwelt“, seit es ihr sichtbar an den Kragen geht: seit abzusehen ist, dass Zerstörungen global bedrohlich werden, die unausweichlich der Logik der Geldkonkurrenz folgen: dass für den Verbrauch und das In-Wert-Setzen von immer mehr Teilen der Welt jeweils möglichst wenig Geld aufgewendet werden darf, damit möglichst viel und mehr Geld herauskommt. So kostet die Rücksicht auf die Welt, wo es nach Geld geht, Geld – zu viel Geld, das sie nicht kosten darf.

Reflektierende Worte von Aldo Haesler, Geldsoziologe, der sich seit 40 Jahren mit dem Thema Geld beschäftigt.

“Die Gesellschaft ist eine Spinnwebe, deren Fäden Geldfäden darstellen, d.h. deren Knoten einzelne Individuen sind, und die Fäden sind Geldbeziehungen."
Aldo Haesler

"Wenn unsere Beziehungen zu Geldbeziehungen geworden sind, dann fehlen uns sehr wesentliche Aspekte unseres Menschseins, wie Vertrauen, emotionale Bindungen. Alles was uns aneinander band früher, ist im Begriff aufgelöst zu werden und am Ende haben wir die Single-Gesellschaft. Das ist nicht absolute Einsamkeit, aber für uns Soziologen ist die Social Isolation eine Grundpathologie unserer Gesellschaft."