China und der Klimawandel
kompliziertes aber unzertrennliches Verhältnis

Stellen wir uns 2020 ohne COVID-19 vor, dann hätte unsere Aufmerksamkeit primär dem Klimawandel gegolten. Mit jedem Schritt, dem wir dem Ende der Pandemie näherkommen, rückt das Thema wieder näher ans Zentrum öffentlichen Aufmerksamkeit. Dabei kommt man um einen globalen Akteur nicht herum: China. Als das Amerika Donald Trumps zumindest medial von der Klimabühne verschwand, sahen viele China als die neue Führungsmacht im Kampf gegen den Klimawandel. Für andere blieb das Land ein rücksichtsloser Verschmutzer, der es mit seinen Anstrengungen nicht ernst meint. So einfach ist es nicht. Klimawandel und China sind auf vielen Ebenen eng miteinander verknüpft. Die Beziehung ist jedoch komplizierter, als man auf den ersten Blick vermutet.
Nach den Klimaverhandlungen von Paris 2015 war für die Verhandler klar, dass ohne die Führung der USA kein solch ambitioniertes Abkommen zustande gekommen wäre. Viele andere Länder leisteten einen wichtigen Beitrag (z.B. aus Europa oder eben China), doch die USA brachte das Abkommen über die Ziellinie. Mit seiner eigenen sehr durchzogenen Klima-Massnahmen-Bilanz basierte die damalige amerikanische Führung keineswegs auf einer historischen Vorbildrolle, sondern darin, für höhere Ambition im Kampf gegen den Klimawandel andere Länder zu mobilisieren und gelegentlich auch politisch zu «motivieren». Mit Donald Trump wurde diese diplomatische Maschinerie 2017 vorerst auf Eis gelegt. In vielen Hauptstädten, vor allem Europas, schaute man nun nach Osten für die neue Klima-Führung.
Von aussen erschien dies als logischer nächster Schritt. China war dabei mit wachsendem Selbstvertrauen das grösste diplomatische Netzwerk der Welt aufzubauen und die globale Klimaagenda hatte international grosse Strahlkraft. Die Erwähnung des Klimawandels in Reden von Xi Jinping wie am World Economic Forum 2017 wurde grosszügig als Zeichen gedeutet, dass China diese Rolle einnehmen wolle. Gemeinsam für mehr Ambition unter dem Pariser Klimaübereinkommen – so die Hoffnung.
Box: Die Fakten
2019 waren die Treibhausgasemissionen Chinas zum ersten Mal grösser als diejenigen aller OECD-Mitgliedsländer zusammen. Auch bezüglich pro Kopf Emissionen hat China fast zum OECD-Durchschnitt aufgeschlossen und Länder wie die Schweiz deutlich hinter sich gelassen. Seit 2011 konsumiert China mehr Kohle als der Rest der Welt zusammen. Die meisten neuen Kohlekraftwerke werden weiterhin in China gebaut und auch bei Finanzierung und Bau von Kohlekraftwerken im Ausland ist China führend.
Gleichzeitig ist China aber auch absoluter Spitzenreiter bei der technologischen Weiterentwicklung und digitalen Integration von erneuerbaren Energieformen, mit Abstand führend bei der Installation und Produktion von Solar- sowie Windkraftanlagen, der weltweit grösste Markt für Elektromobilität und ein wichtiger Financier und Konstrukteur von Wasserkraftanlagen im Ausland. Ganz allgemein stehen Forschung und Entwicklung in diesem Sektor im Zentrum.


Genau wie die USA hat China keine historische Vorbildrolle bezüglich Klima-Massnahmen. Sein bisheriges Entwicklungsmodell dient kaum als Orientierungshilfe. Eigene angekündigte Klima-Massnahmen bleiben ungenügend. Obwohl bei der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen noch als Saboteur bezeichnet, wurde China 2015 in Paris schon als Schlüsselfigur gefeiert. Dabei waren die beiden Konferenzen aus chinesischer Perspektive gar nicht so unterschiedlich. In beiden Fällen wurden die vordefinierten Verhandlungsziele Chinas erreicht. China gilt zudem als glaubwürdiger, relativ konstruktiver Verhandlungspartner mit ähnlichem Mobilisierungs- und Beeinflussungspotential wie die USA.
All dies verdeutlicht: China hatte schon lange eine Führungsrolle in den Klimaverhandlungen. Erwartete man von China aber Führung im Sinne einer erhöhten Ambition bei der Erreichung der Ziele des Pariser Klimaübereinkommens, also den Geist von 2015, so wurde man enttäuscht. Wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden sollen, nützen nur Taten statt Worte. Um die chinesische Klimapolitik und deren zugrundeliegende (mitunter mangelnde) Taten hinter den Kulissen besser zu verstehen, muss man sich von einer Schwarz-Weiss-Betrachtung lösen. China und der Klimawandel sind unzertrennlich, jedoch in einer komplizierten Beziehung zueinander. Beim Versuch die Grauschattierung der Beziehung herauszuarbeiten lohnt sich ein genauerer Blick auf folgende vier Bereiche:
- Ideologien: Liberale Umweltpolitik vs. Ökologische Zivilisation
- Grüner Wohlstand: Blauer Himmel und Klimawandel
- Erneuerbare Energieversorgungssicherheit: Emissionsarme nationale Produktion
- Erneuerbare Innovationsmacht: Umbau des chinesischen Wirtschaftsmodells


Ideologien: Liberale Umweltpolitik vs. Ökologische Zivilisation
Die Kommunistischen Partei (KP) ist sich der Bedrohung durch den Klimawandel genauso bewusst wie die Vertreter im Brüsseler EU-Viertel, oder die Regierungen in Bern und nun auch wieder Washington. Klimapolitik in China ist aber nicht primär getrieben von Bottom-Up-Initiativen. Es ist kein Auswuchs partizipativer Demokratie.
In China sind die getroffenen Massnahmen und das Ambitionsniveau der Umwelt- oder eben Klimapolitik eingebettet in die Erreichung der mittel- und längerfristigen Ziele der massgeblich von Präsident Xi getriebenen Vision der KP, an deren Ende die Erreichung des Status einer voll entwickelten Nation bis 2049 steht.
Seit 2007 taucht in diesem Zusammenhang der Begriff ökologische Zivilisation auf, welcher 2018 seinen Weg in die chinesische Verfassung fand. Der Begriff steht für einen Weg von einem rein auf Wachstum fokussierten Entwicklungsmodell hin zu nachhaltiger Entwicklung mit chinesischen Charakteristika, welche ökologische, wirtschaftliche und soziale Dimensionen abdeckt; er bezieht sich auf die philosophische und zivilisatorische Traditionen Chinas sowie auf die politischen Leitlinien der KP. Kurz, eine Utopie konstruiert unter der Führung der KP, in der Marktwirtschaft und Konsum weiterwachsen und Technologie und Wissenschaft die grundlegenden Probleme der Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung lösen.
Grüner Wohlstand: Blauer Himmel und Klimawandel
Auch im zentralistischen Einparteienstaat China wird die Klima- und Umweltpolitik von der Bevölkerung beeinflusst. Die Bedenken der wachsenden chinesischen Mittelschicht, die sich weniger auf den wirtschaftlichen Aufstieg und immer mehr auf die Qualität ihres Wohlstandes konzentriert, sind ein wichtiger Faktor. Lokale Proteste gegen neue Kohlekraftwerke oder die Empörung in sozialen Medien über die gesundheitsschädliche Luft- und Wasserqualität wurden lange geduldet, bis die wachsende Unzufriedenheit eine Bedrohung für die Partei wurde und man handelte. Dies erklärt den anfänglich starken Fokus der chinesischen Klimapolitik auf Luftverschmutzung und die enge Verknüpfung zwischen Klima und Umwelt. Ein blauer Himmel oder sauberere Flüsse sind Messwerte, welche die Bevölkerung selbständig einschätzen kann. Emissionsstatistiken von Regierungsstellen hingegen wurde lange nicht getraut und die politisch-wissenschaftliche Diskussion über den Klimawandel war kein Thema für die Massen.
Seit der Jahrtausendwende hat die KP daher u.a. Massnahmen gegen den sauren Regen (seit Mitte der 2000er), den bis dato strengsten Aktionsplan gegen Luftverschmutzung (2013), die individuellen Ziele Chinas im Rahmen des Pariser Klimaübereinkommens (2015), den 3-Jahres Aktionsplan für einen blauen Himmel (2018) und entsprechende klimarelevante Elemente in den Fünfjahresplänen verabschiedet. Diese Massnahmen zeigen Wirkung. Zudem wurde mit neuen Slogans der Bevölkerung signalisiert, dass ihre Wünsche erhört werden und der Weg in die Zukunft ein grünerer sein wird.
Entsprechend der Rhetorik der ökologischen Zivilisation ist das Klima ein Element von vielen in der nachhaltigen Entwicklung, jedoch nicht auf Basis von nationaler Eigenverantwortung wie im Pariser Klimaübereinkommen. Dieses wird politisch weiterhin als hauptsächliche Bringschuld der entwickelten Industrienationen dargestellt. Auch eine notwendige Änderung der individuellen Lebensweise um dem Klimawandel zu entgegnen steht nicht im Mittelpunkt. Dies wäre einer so sehr auf Konsum und Wachstum fokussierten Gesellschaft, wo Millionen immer noch auf den von der KP versprochenen Aufstieg in den Wohlstand warten, schwer zu vermitteln.


Erneuerbare Energieversorgungs-Sicherheit: emissionsarme nationale Produktion
China ist in den letzten dreissig Jahren zum weltweit grössten Energiekonsumenten und Importeur von Kohle, Erdöl und Erdgas geworden, um den Energiebedarf für seinen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung zu befriedigen. Dies führt zu finanziellen und logistischen Herausforderungen aufgrund der hauptsächlich maritim-basierten Importabhängigkeit von internationalen Energiemärkten. Energieversorgung spielt auch im Kampf gegen die Luftverschmutzung eine zentrale Rolle. Der angeordnete Wechsel von Kohle- auf Gaskraftwerke für Heizungen führte zu Gas-Versorgungsengpässen und ungeheizten Wohnungen im bitterkalten nordchinesischen Winter.
Versorgungssicherheit beinhaltet auch klassische sicherheitspolitische Überlegungen, denn Importieren bedeutet Abhängigkeit. Eine auf nationalen Sicherheitsüberlegungen basierende Energieversorgungs-Strategie bedingt, dass man Importrouten diversifiziert, diese militärisch schützt und falls notwendig die Produktion zu Hause hochfährt. In sicherheitspolitischen Kreisen Pekings war dies auch lange die vorherrschende Meinung. Chinas Bedarf an fossilen Brennstoffen hat aber inzwischen Ausmasse erreicht, wo mehr Diversifizierung kaum hilft, genügender militärischer Schutz in einem extrem-Szenario wenig realistisch ist und die Produktion zu Hause selbst mit neuen Fördermethoden für Schiefergas nicht ausreicht. Auch die erhöhten Investitionen in fossile Infrastruktur im Ausland oder zuhause in Kernkraft helfen zwar, bringen alleine aber keine entscheidende Wende.
Die Erhöhung der Kapazität erneuerbarer Energieformen wie Wind und Sonne sowie deren technologische Weiterentwicklung, ist sowohl Antwort auf das Problem der Versorgungssicherheit mit fossilen Brennstoffen als auch Mittel im Kampf gegen die Luftverschmutzung und damit den Klimawandel. Das noch vor 10 Jahren völlig absurd wirkende KP-Mantra der chinesischen Energieversorgungs-Unabhängigkeit passt perfekt mit der propagierten Vision einer ökologischen Zivilisation und dem neuen Fokus auf die Binnenwirtschaft zusammen.

Luftbild eines modernen Solarkraftwerks
Luftbild eines modernen Solarkraftwerks

LNG Tanker
LNG Tanker

Kohleabbau
Kohleabbau
Umbau des chinesischen
Wirtschafts-Modells
Der Fokus auf erneuerbare Energieformen und deren technologische Weiterentwicklung ist Sinnbild für den laufenden Umbau der chinesischen Wirtschaft. Vom Exporteur billiger Produkte hat China innerhalb kürzester Zeit in einzelnen Technologien den Wandel zur Innovationsnation und teilweise sogar zum Technologieführer geschafft. Solar- und Windenergie sind hier Paradebeispiele eines erfolgreichen, stark subventionierten Vorgehens. Elektromobilität, Batteriespeicher und Wasserstoff sind die nächsten Bereiche, wo man dieses Ziel anstrebt und, wie die Dominanz Chinas beim für Batterien zentralen Kobaltabbau zeigt, auch holistisch verfolgt.
China hat das Potential, welches das lukrative Geschäft in kohlenstoffarmen Gütern und Dienstleistungen bietet, früh erkannt. China hat sich die letzten Jahre ideal aufgestellt, um diesen Markt zu dominieren. Eine innovative kohlenstoffarme Industrie 4.0 bietet zudem die Chance, gleichzeitig Umweltverschmutzung zu verringern und inneffiziente verschmutzende Industriezweige loszuwerden. Die wachsende Advokatie der grünen Industrien ist hier ein positiver Faktor, welcher die Umstellung beschleunigen kann. Entsprechend der Komplexität der Modernisierungsziele der KP zum Beispiel für 2025 (Made in China), 2035 (Erreichung eines modernen Sozialismus) und natürlich 2049 sowie den unterschiedlichen Entwicklungsstufen von Provinzen und Regionen innerhalb Chinas ist die Logik nicht erst der Ausstieg aus den ungewünschten Industriezweigen, sondern alles parallel. Dass weiterhin Kohlekraftwerke gebaut werden, ist nicht Zeichen einer Planänderung oder Ausdruck von Gouvernanz-Problemen, sondern auch ein Resultat dieser Vorsicht in der wirtschaftlichen Transformation, beeinflusst von zuvor genannten Überlegungen wie Energiesicherheit und der Wahrung des Wohlstands sowie der Sicherung des Lebensunterhalts einer breiten Bevölkerungsschicht.
Sollte sich in Zukunft abzeichnen, dass auch mit mehr Ambition in der Emissionsreduktion die von der KP gewünschte wirtschaftliche Transformation ohne zu grossen Druck auf die Gesellschaft erreicht werden kann, so wird man diese entsprechend dynamisch anpassen. Es ist durchaus möglich, dass China sein kürzlich international angekündigtes, jedoch als unambitioniert empfundenes Ziel bis 2030 den Emissionshöhepunkt zu erreichen, verschärft.


Zur Identifikation der Chancen, einer realistischen Einschätzung der Risiken und dem Verständnis für existierende Diskrepanzen lohnt es sich, das nach aussen porträtierte Bild des Klima-Akteurs China mit den innenpolitischen Tatsachen abzugleichen. Erst so zeigt sich die wahre Komplexität der Beziehung zwischen China und der Klimapolitik.
Patrick Renz beschäftigt sich mit Geopolitik und Sicherheitspolitik. Seine Leidenschaft gilt der Energie- & Klimapolitik. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt in Südost- und Ostasien, insbesondere in China. Er hat für mehrere internationale Finanzinstitutionen, Think Tanks sowie den öffentlichen Sektor in Asien, den USA und Europa gearbeitet. Er hat an mehreren multilateralen Verhandlungen teilgenommen und ist bestrebt, in einem vermeintlichen Nullsummenspiel optimale Ergebnisse zu erzielen.