China als Gegenmodell
Das politische System Chinas als Gegenmodell zur marktwirtschaftlichen Demokratie

Der Erfolg des politischen Systems der Volksrepublik China generiert sich aus verschiedenen Faktoren:
- Wirtschaftsreformen und gesteigerter Lebensstandard,
- politischer Wille und Druck,
- massive Investitionen im In- und Ausland und
- die Anpassungsfähigkeit der Partei- und Staatsführung.
Chinas ökonomische Reformpolitik verwandelte einen der ärmsten und bevölkerungsreichsten Staaten der Erde in wenigen Jahrzehnten in eine zukunftsorientierte Wirtschaftssupermacht. Die chinesische Regierung investiert Milliardensummen. Die gigantischen Infrastruktur-Investitionen, die „Belt and Road Initiative“ (BRI), sichern die Rohstoffversorgung, den weltweiten Infrastrukturausbau und erweitern Chinas politischen Einfluss. Hinter den groß angelegten Programmen, die auch Chinas Technologieführungsposition in Zukunft etablieren sollen, steht strategischer politischer Wille, der durch Druck verstärkt und durch patriotische und ideologische Leitlinien ergänzt wird.
Das Antikorruptionsprogramm ist eine der größten Massenkampagnen seit Maos Zeiten. Die chinesische Regierung lässt keinen Zweifel aufkommen, dass sie in Partei, Justiz, in den Sicherheitsorganen hart durchgreift und, wie das Beispiel des Großunternehmers Jack Ma und dem Alibaba-Konzern zeigt, kritische Töne aus der Privatindustrie nicht zulässt. Schließlich hat die Kommunistische Partei Chinas gelernt sich anzupassen, zu modernisieren.
Wenige politische Systeme sind so zukunfts- und technologieorientiert, durchsetzungsstark und gleichzeitig bereit, Machtpositionen zu verteidigen und Interessen durchzusetzen.

Für das gemeinsame Wohl aller unter dem Himmel. Tiānxià wèi gōng. – Kalligrafie von Sun Yat-sen. Bild: Wikipedia
Für das gemeinsame Wohl aller unter dem Himmel. Tiānxià wèi gōng. – Kalligrafie von Sun Yat-sen. Bild: Wikipedia

Tianxia-Gedanke – Mitte: Sohn des Himmels (= Kaiser von China, Beamte, Zivilbevölkerung) • innere Untertanen • äußere Untertanen • Tributstaaten ... (mit anschließenden `Barbaren´ Sammelbegriff im Norden: Beidi, Osten: Dongyi, Süden: Nanman, Westen: Xiro ...unbeeinflusstes Gebiet
Bild: CC BY-SA 3.0
Tianxia-Gedanke – Mitte: Sohn des Himmels (= Kaiser von China, Beamte, Zivilbevölkerung) • innere Untertanen • äußere Untertanen • Tributstaaten ... (mit anschließenden `Barbaren´ Sammelbegriff im Norden: Beidi, Osten: Dongyi, Süden: Nanman, Westen: Xiro ...unbeeinflusstes Gebiet
Bild: CC BY-SA 3.0
China sieht sich als jahrtausendealte Hochzivilisation, deren Kultur- und Einflussraum über seine Grenzen hinausgeht und die asiatische Region geprägt hat. Mit dem Konzept „tianxia“ (wörtlich „alles unter dem Himmel“) ist aber weniger ein globaler Machtanspruch gemeint, sondern eine hierarchische Ordnungsstruktur. Das Verständnis, bis in das frühe 19. Jahrhundert eine der führenden Mächte der Welt gewesen zu sein, die heute selbstverständlich wieder einen Platz an der Spitze beansprucht, ist weit verbreitet.
Die erfolgreiche Wirtschaftspolitik, die erheblich verbesserten Lebensverhältnisse und die Aussicht auf den Chinesischen Traum, einer Starken Nation mit einem starken Militär, den Präsident Xi Jinping verspricht, tragen zur Akzeptanz und Legitimität des politischen Systems bei. Die meisten Chinesen sind mit ihrer Staats- und Parteiführung einigermaßen zufrieden. Kritik selbstverständlich ist oberhalb der lokalen Ebene, nicht zu äußern.
Die mehrstufige wirtschaftliche Entwicklung der Volksrepublik China erscheint als Wachstumswunder neuer Qualität.
Der politische Führungs- und Entwicklungswille katapultiert China mit beispiellosen wirtschaftspolitischen Kampagnen auf die Position einer globalen Führungsmacht im 21. Jahrhundert. „Made in China 2025“ (Industriestrategie zur Technologieführerschaft), „China 2035“ (Masterplan zur Innovationsführerschaft und umfassendem moderaten Wohlstand), „China 2049“ (Erreichung aller Ziele zum 100. Jubiläum der Gründung der Volksrepublik China), „Belt and Road Initiative“ – BRI (globales Infrastruktur-Investitions-Programm), lauten beispielsweise die Programme, mit denen China auch High-Tech Führungsmacht werden möchte.
Faszinierend in diesem Zusammenhang ist die reiche Interpretationskunst der politischen Führung in Peking.
Schließlich gelten auch im neuen, reichen und durchdigitalisierten China die verfassungstechnischen Grundsätze eines sozialistischen Staates und der demokratischen Diktatur des Volkes unter Führung der Kommunistischen Partei. Es ist zu vermuten, dass dies gelingt durch eine ständige Neu- und Uminterpretation des Primats der Revolution und der Verpflichtung zur ständigen Weiterentwicklung sozialistischer Werte. Alles ist Entwicklung, Reform und muss dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft dienen.
Die Gestaltungsmacht von Präsident, Parteiführer und Vorsitzendem der Militärkommission Xi Jinping, zeigt insbesondere mit seiner ehrgeizigen Vision des Chinesischen Traums, die sich von den moderaten Politikdivisen der Vergangenheit doch erheblich unterscheidet. Es gibt nichts Höheres als die Erfüllung des neuen und alten Traums nationaler Größe. Xi Jinping initiierte auch eine der größten Kampagnen der nach-maoistischen Zeit, das langfristig angelegten Anti-Korruptionsprogramm. Die Größe des Chinesischen Traums und die vielen Opfer der Anti-Korruptions-Kampagne stellen die Stabilität und Zukunftsfähigkeit des Pekinger Systems auch in Frage. Gelingt es dem gegenwärtigen Partei- und Staatschef Xi Jinping nicht, die zahlreichen Herausforderungen von Aufständen bis zu Wirtschaftsflaute und Epidemien zu stabilisieren, bzw. beizulegen, droht trotz Machtfülle und der Aufhebung der Amtszeitbeschränkung die Ablösung. Dem Parteisystem geht es um Machterhalt.

Chinas neues Seidenstraßennetzwerk „Belt and Road Initiative“ (BRI) ist ein gigantisches Infrastrukturinvestitionsprogramm, das gleichzeitig als außenpolitische Blaupause für Chinas globalen Macht- und außenpolitischen Gestaltungsanspruch interpretiert werden kann. BRI wird ebenfalls als eine Initiative Xi Jinpings und Teil des Chinesischen Traums in die Bücher eingehen. Belt and Road (BRI) schafft strategische Wirtschaftskorridore, neue Handelszentren und Kommunikationskanäle auf der ganzen Welt und soll gleichzeitig die Energieerzeugung und Chinas Rohstoffversorgung sichern. Der Gürtel, „Belt“, stellt die Landverbindungen dar, „Road“ steht für die Seewege.
Die Seidenstraßeninitiative kombiniert vier programmatische Säulen, die Chinas neue, globale Wirtschafts- und Außenpolitik tragen und repräsentieren:
- Erstens die landgestützten Wirtschafts- und Kommunikations-Korridore, die Ostasien mit Europa (und darüber hinaus mit der Welt) verbinden.
- Zweitens die „Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“, die Seefahrtsrouten ausbaut, neue strategische Verbindungen und Stützpunkte anlegt und Chinas maritimen Kontroll- und Präsenzanspruch – zumindest in der ostasiatischen Region untermauert. Über Myanmar, Bangladesch und Pakistan sollen Zugänge zum Indischen Ozean und zum Arabischen Meer gesichert werden.
- Drittens die „Polaren Seidenstraßen“, die Chinas Interesse an den Ressourcen an beiden Polen dokumentiert.
- Viertens Chinas Weltrauminitiative, die zwar die vorherrschende zivile Weltraumnutzung anmahnt, sich aber militärische Kapazitäten nicht verbieten lassen möchte.

Auch finanzpolitische Interessen spielen eine Rolle. Die chinesische Regierung möchte ihre Währung besser international platzieren und als Alternative am Kapitalmarkt und im Zahlungsverkehr anbieten („Petro-Yuan“). Das funktioniert am besten über eigene, neu ausgebaute Industriezweige und Handelswege. Es geht in den Seidenstraßeninitiativen aber nicht nur um Rohstoffe, Energieversorgung, Transport und Logistik, sondern um das Gold der Zukunft: Daten und Kommunikation.
Die Kontrolle über Netzwerke und Datenströme resultiert automatisch in einer Machtposition und ermöglicht die Hoheit über neue technische Standards.
Die Volksrepublik ist ein konkurrenzfähiger Anbieter von Hochleistungstechnologie. Außerdem investiert China zielstrebig in zukünftige Märkte und Strukturen. Die bevölkerungsreichen Länder Afrikas und Südasiens haben großes Wachstumspotential.
Kritik an Chinas Belt and Road Initiative bezieht sich auf Fragen nach Wirtschaftlichkeit, Finanzierung und sinnvoller Verkehrsanbindung. Es wurden überdimensionierte Kraftwerke geplant, Straßen und Brücken ohne Anbindung gebaut. Die Finanzierung großer Infrastruktur-Projekte überfordert schwächere Ökonomien, sie laufen in eine Schuldenfalle. Struktur- und finanzschwache Staaten wie Laos, Pakistan, Sri Lanka, oder Montenegro tun sich schwer, chinesischen Bau- und Finanzierungsangeboten zu widerstehen. Weitere Kritikpunkte beinhalten Fragen nach Ausschreibungsmodalitäten, der Einhaltung ökologischer und sozialer Bedingungen, und möglicher Korruption, insbesondere bei großen Verkehrsprojekten. Auftragsnehmer und Kreditgeber sind meist chinesische Unternehmen und Banken. Allerdings leiden auch sie unter Planungsmängeln und Finanzierungslücken.
Die Hochwachstumsphase ist vorbei, Chinas Wirtschaft wird umgebaut. Der Niedriglohnsektor wandert ins billigere Ausland. Chinas Kommunen sind verschuldet. Die Bereitschaft sinkt, zweistellige Milliardensummen im Ausland zu investieren, wenn soziale Belange, beispielsweise der Ausbau des Gesundheitssystems dringender werden.
Der Westen repräsentiert nur 12% der Weltbevölkerung und wird seinen internationalen Ordnungsanspruch nicht erhalten können. Xi Jinping präsentierte sich auf dem Weltwirtschaftsforum 2017 als Verteidiger der Globalisierung und des Freihandels, sowie als Ausgleich gegen von Washington ausgehende Unsicherheiten.
Im Verhältnis zu China beobachten wir Machtverschiebungen. Die Volksrepublik investiert politisches und wirtschaftliches Kapital strategisch, um Freiräume zu besetzen und sich sowohl in der Nachbarschaft, als auch international ein den eigenen Interessen verpflichtetes Umfeld zu schaffen.
Die Entwicklungen in Hong Kong und Taiwan, die Coronakrise und die globale Wirtschaftsentwicklung werden zeigen, wieviel Resilienz und Zukunftsfähigkeit Chinas politisches System und seine sozialistische Marktwirtschaft besitzen.
Saskia Hieber ist Dozentin für Internationale Politik an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und Lehrbeauftragte für Internationale Politik Asien an der Universität Regensburg.