Astronomie

Von göttlicher Macht
zum physikalischen Gesetz

Viel Geld investiert die Menschheit im nächsten Jahrzehnt in die Raumfahrt, und das obwohl es auf der Erde genug Problemfelder gäbe, für die man dieses Geld ausgeben könnte. Warum wollen wir seit mehr als 2.500 Jahren wissen, was über den Wolken ist? Und welche Konsequenzen hat dieses Wissen für die Gesellschaft, die unter diesen Wolken lebt? Das sind die Fragen, denen dieser Essay nachspürt.

Kapitel 1: Die Kunst der Beobachtung

Es ist ein ewiger Kreislauf: Die Sonne geht auf; die Sonne geht unter. Der Mond nimmt ab; der Mond nimmt zu. Aus Winter wird Frühjahr, aus Frühjahr wird Sommer, aus Sommer wird Herbst und auf den Herbst folgt der Winter. Immer wieder. Und irgendwie, das haben wir Menschen schon in grauer Vorzeit begriffen, hängt dieser stetige Wandel mit Sonne und Mond zusammen. Sie sind die Herrscher der Himmel: die Sonne am Tag, der Mond in der Nacht.

Stonehenge ist ein vor über 4000 Jahren in der Jungsteinzeit errichtetes und mindestens bis in die Bronzezeit genutztes Bauwerk in der Nähe von Amesbury, England.

In einer Zeit, in der wir Brot bei der Backstation kaufen und das Gemüse aus dem Supermarkt kommt, können wir uns nicht mehr vorstellen, dass es vor 5000 Jahren von existentieller Bedeutung war, über Sonne, Mond und ihre Wirkung auf die Natur Bescheid zu wissen. Damals war der Mensch den Jahreszeiten ausgeliefert. Für den Ackerbauern war es lebenswichtig nicht nur zu ahnen, sondern zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt für die Aussaat gekommen ist und wann der Winter vor der Tür steht. Deshalb suchten diejenigen, die eine Gemeinschaft leiteten, schon früh nach Zeichen, die den Wechsel der Jahreszeiten untrüglich vorhersagten. Sie fanden sie am Himmelszelt.

Stonehenge ist ein vor über 4000 Jahren in der Jungsteinzeit errichtetes und mindestens bis in die Bronzezeit genutztes Bauwerk in der Nähe von Amesbury, England.

Möglichkeiten und Grenzen der Beobachtung

Jeder kann die Phänomene am Himmelszelt beobachten, wenn er sich dafür genug Zeit nimmt. Um die eigenen Beobachtungen zu objektivieren und für eine Gemeinschaft nutzbar zu machen, entwickelten Astronomen schon sehr früh Messinstrumente wie Stonehenge mit seinen feststehenden geraden und waagrechten Linien. Jede gerade Mauer kann als künstlicher Horizont dienen, an dem ein Punkt Aufgang und Untergang eines Gestirns fixiert. Ein anderes Instrument ist der Winkelmesser. Er hilft, den höchsten Punkt eines Gestirns zu festzulegen.

Je mehr Wissen über die Gestirne existierte, umso komplexer wurden die Instrumente. Um das Jahr 250 v. Chr. soll der griechische Astronom Eratosthenes bereits die erste Armillarsphäre konstruiert haben. Sie bildete den sich wandelnden Himmel ab und machte es möglich, zukünftige Sternpositionen vorauszusagen. Wie kompliziert solche Apparate beschaffen waren, erfahren wir aus den Funden, die aus dem um 70 v. Chr. vor Antikythera gesunkenen Wrack geborgen wurden. Einige von ihnen lassen sich zu einer astronomischen Uhr zusammensetzen, die den Stand der Sonne, des Mondes und der Sterne nachvollzog.

Nun ist es eine Sache, den Himmel zu beobachten und aus wiederkehrenden Erscheinungen allgemeingültige Regeln abzuleiten. Eine ganz andere ist es, aus den eigenen Beobachtungen Hypothesen über die Beschaffenheit des Himmelsgewölbes abzuleiten, mit denen sich alle bekannten Phänomene erklären lassen. Denn wir dürfen nicht vergessen: Bevor der erste Mensch in einer Raumkapsel die Weiten des Weltraums erkundete, war jedes Modell des Kosmos’ nur eine Hypothese, eine Hypothese, die Mathematiker mit Hilfe von komplizierten Rechnungen zu begründen versuchten.

Fassen wir an dieser Stelle zusammen, dass die klassische Astronomie vor dem Beginn der Raumfahrt nur über zwei Methoden verfügte:

  1. die Beobachtung
  2. die Mathematik

Armillarsphäre

Armillarsphäre

Ägyptischer Obelisk vor der römischen Kirche Trinità dei Monti. Foto: UK.

Ägyptischer Obelisk vor der römischen Kirche Trinità dei Monti. Foto: UK.

Wie man die Tageszeit misst

Viele dieser Vorhersagen wurden in praktische Anwendungen des Alltags umgesetzt. Das einfachste und gleichzeitig beste Beispiel dafür ist die Sonnenuhr, die bereits von den Ägyptern des 4. Jahrtausends vor Christus genutzt wurde. Es ist ja auch so leicht zu beobachten, dass ein Stab einen Schatten wirft. Jeder, der diesen Schatten mehrere Tage hintereinander beobachtet, wird feststellen, dass er mit dem Lauf der Sonne fest verbunden ist. Ein nächster Schritt ist es, den Weg, den der Schatten tagsüber zurücklegt, mit Hilfe von permanenten Markierungen in gleiche Teile aufzuteilen. Unsere Stunden beruhen auf diesem Prinzip. Dass eine primitive Sonnenuhr im Winter kürzere Stunden zeigt als im Sommer, störte in der Antike niemanden. Zeit und ihr Erleben ist nämlich relativ. Seine Zeit minutengenau einzuteilen, wird erst dann zum Bedürfnis, sobald es eine Möglichkeit gibt, das Verstreichen der Zeit minutengenau anzuzeigen.

Johann Friedrich Penther, Gmonomica Fundamentalis & Mechanica. Augusburg 1768.

Johann Friedrich Penther, Gmonomica Fundamentalis & Mechanica. Augusburg 1768.

Und es war erst die weite Verbreitung der Taschenuhr, die dies möglich machte. Sie veränderte das Zeitempfinden ihrer Nutzer und hatte damit gleichzeitig Rückwirkungen auf die Konstruktion der Sonnenuhren. Die verschwanden nämlich nicht mit dem Erscheinen der Taschenuhr. Im Gegenteil, sie erlebten in der frühen Neuzeit ihre größte Blüte und blieben bis weit ins 18. Jahrhundert die dominierende Form der Zeitmessung. So konnte das MoneyMuseum jüngst im Antiquariat Rezek einen Bestseller aus dem Jahr 1768 kaufen, der sich mit der Konstruktion von Sonnenuhren beschäftigt.

Nun mag man sich fragen, warum trotz der Erfindung der Taschenuhr die Konstruktion von Sonnenuhren immer noch von solch großer Bedeutung war. Die Antwort ist einfach: Nur die wenigsten Uhrmacher waren so geschickt, dass ihre Erzeugnisse Tag für Tag exakt liefen. Die meisten Uhren gingen jeden Tag mehrere Minuten vor oder nach. Um sie zu justieren, brauchte es die Sonnenuhr, die unbestechlich die Mittagsstunde anzeigte.

Die Konstruktion einer Sonnenuhr gemäß dem grundlegenden und weit verbreiteten Werk von Johann Friedrich Penther war alles andere als einfach.

Die Konstruktion einer Sonnenuhr gemäß dem grundlegenden und weit verbreiteten Werk von Johann Friedrich Penther war alles andere als einfach.

Dass sich das Zeitverständnis der Menschen durch die mechanischen Uhren mit ihren Minutenzeigern gewandelt hatte, zeigt die Tatsache, dass die Sonnenuhren des 18. Jahrhunderts wesentlich genauer gehen mussten als ihre römischen Vorbilder. Ein einfacher Stab reichte schon lange nicht mehr aus. Im 18. Jahrhundert waren Sonnenuhren hochkomplexe Messgerät, die Stunden und Minuten messen konnten, wenn man sie passend zum geographischen Längengrad einstellte und die zur Jahreszeit passende Skala besaß.

Der Autor unseres Buchs über die Sonnenuhren verstand sich nicht als Astronom, sondern als Mathematiker. Johann Friedrich Penther (1693-1749) war das, was wir heute einen Ingenieur nennen würden. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt, indem er verschiedene Aufgaben mit Hilfe angewandter Mathematik löste. Er vermaß für seinen Auftraggeber Grundstücke, berechnete die Flugbahn von Kanonen und legte die Stelle fest, wo der feindliche Festungswall am leichtesten zu durchbrechen sein würde. Außerdem konstruierte er eine damals höchst innovative Sonnenuhr, die heute noch vor der Wolfenbütteler Bibliothek zu sehen ist.

Kapitel 2: Die Deutung der Beobachtungen

Die meisten Menschen sind sinnsuchende Wesen. Sie beobachten nicht nur, sondern interpretieren, was sie beobachten. Jahrtausendelang genügte zur Interpretation der Wege, die alle Gestirne am Himmel zurücklegen, ein Mythos. Doch die griechischen Philosophen konstruierten ihre Welt ohne Götter und versuchten, ihre astronomischen Beobachtungen in ein Weltbild zu überführen, das ohne göttliches Eingreifen auskam.

Die griechischen Wurzeln des geozentrischen Weltbilds

Für einen griechischen Philosoph war die Mathematik die Sprache der Götter. Es war die Sprache, in der sich die Weltenharmonie ausdrücken ließ. Und so dienten Geometrie, Algebra und Logik dazu, ein geometrisches Modell des Kosmos zu erdenken, das sich mit den Beobachtungen in Einklang bringen ließ.

Jeder Philosoph entwickelte dabei seine eigenen Vorstellungen vom Weltall, und ja, es gab auch damals schon Menschen, die behaupteten, dass sich die Erde um die Sonne drehe. Zur communis opinio entwickelte sich ihre Sicht der Dinge nicht. Zum Meinungsmacher wurde stattdessen der Philosophenfürst Aristoteles: Er beschrieb die Erde als eine Kugel, um die sich – an transparenten Sphären befestigt – Planeten und Sterne drehten.

Diese Vorstellung übernahm auch der wohl einflussreichste Astronom der Antike, der alexandrinische Gelehrte Claudius Ptolemaios.

Claudius Potelemaios lehrte im 2. Jahrhundert n. Chr. am Museion von Alexandria und schrieb ein viel rezipiertes Werk, das ursprünglich den Titel Mathematike Syntaxis trug.

Übersetzt bedeutet das Systematische Darstellung der Mathematik. Aber weil zu den Anwendungen der Mathematik auch die Astronomie gehörte, fasste Claudius Ptolemaios in diesem Buch alles zusammen, was die Gelehrten so über den Kosmos zu wissen glaubten und worauf sie ihre Rechnungen begründeten. Und das war die Tatsache, dass eine Vielzahl von Sphären, an die Planeten und Sternbilder geheftet waren, um die kugelförmige Erde kreiste. 1025 Sterne in 48 Bildern listete Ptolemaios in seinem epochalen Werk auf, um zu demonstrieren, wie man ihre Bahn vorausberechnen konnte.

Übrigens lieferte jener Claudius Ptolemaios nicht nur die Grundlagen der antiken Astronomie. Er war als Kind seiner Zeit überzeugt, dass die Sterne auch das Schicksal der Menschen beeinflussen. Seine Ausführungen bildeten die Basis der Astrologie, die viele Jahrhunderte lang als Schwesterwissenschaft der Astronomie existierte. Noch Kepler sollte nicht nur die Planetenbahnen neu berechnen, sondern auch Horoskope erstellen, um so die Kosten seiner Arbeit zu rechtfertigen.

Almagest des Claudius Ptolemäus. Darstellung des ptolemäischen Weltsystems 1661.

Almagest des Claudius Ptolemäus. Darstellung des ptolemäischen Weltsystems 1661.

Aber zurück zur Mathematike Syntaxis des Claudius Ptolemaios. Sie wurde zu einem Bestseller, den man in byzantinischen und vor allem arabischen Bibliotheken eifrig studierte. Dort erhielt sie auch den Namen, unter dem sie die europäischen Gelehrten kennenlernten: Almagest, abgeleitet vom arabischen Artikel al, und vom griechischen megistos. Übersetzen könnte man diese Bezeichnung vielleicht am treffendsten mit Das Größte.

Tractatus de Sphaerae von Johannes von Sacrobosco. 1472 wurde Sacroboscos Buch erstmals gedruckt. Das im MoneyMuseum aufbewahrte Exemplar mit den Kommentaren modernerer Astronomen erschien 1581 in Köln.

Tractatus de Sphaerae von Johannes von Sacrobosco. 1472 wurde Sacroboscos Buch erstmals gedruckt. Das im MoneyMuseum aufbewahrte Exemplar mit den Kommentaren modernerer Astronomen erschien 1581 in Köln.

Der große Wurf des Johannes von Sacrobosco

Einer der den Almagest mit Begeisterung las, war Johannes von Sacrobosco. Er wurde zum einflussreichsten Astronomen des Hochmittelalters. Viel wissen wir nicht über sein Leben. Er könnte 1195 in Schottland geboren worden sein und starb sicher in Paris, vielleicht um 1256. Sicher ist, dass Johannes von Sacrabosco Geistlicher war und an der Pariser Universität lehrte.

Damals musste jeder Student, ehe man ihn zum Studium der Theologie, der Medizin oder der Rechtswissenschaften zuließ, die sieben freien Künste gemeistert haben. Dazu gehörten im Grundstudium Grammatik, Rhetorik und Dialektik, im Aufbaustudium Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Für die Astronomie war in Paris Johannes von Sacrobosco zuständig. Er wird so gelehrt haben, wie das damals alle Professoren taten: Er besaß sein eigenes Manuskript zum Lehrstoff, das er während der Vorlesung vorlas. (Daher die Bezeichnung Vorlesung.) Seine Studenten schrieben mit und machten sich anhand seiner Erklärungen Anmerkungen zu schwierigen Passagen.

Der Tractatus de Sphaera des Johannes von Sacrobosco dürfte aus diesem Skript hervorgegangen sein. Jahrhundertelang lasen ihn Professoren ihren Studenten vor. Und immer neue Generationen von Studenten schrieben ihn während der Vorlesungen mit. Deshalb kursierte der Traktat in unzähligen Handschriften, von denen Hunderte bis heute überlebt haben.

Der Erfolg des Traktats hatte einen guten Grund. Es war nicht nur didaktisch hervorragend aufbereitet, sondern auch auf dem neuesten Stand der Forschung. Sacrobosco benutzte die arabischen Ziffern.

Damit war er einer der ersten westlichen Mathematiker, die dies taten. Darüber hinaus verarbeitete er nicht nur den Almagest des Ptolemaios, sondern zitierte die arabischen Astronomen, sofern sie in lateinischer Übersetzung vorlagen. Zu ihnen gehörten Thabit ibn Qurra aus Bagdad, der im 9. Jahrhundert das Werk des Ptolemaios überarbeitet hatte, und der um 1015 verstorbene Al-Biruni, der die indische Forschungstradition vertrat.

Basierend auf ihren Erkenntnissen schilderte Sacrobosco den Kosmos als eine Art Maschine, als ein wunderbares, von Gott geschaffenes Uhrwerk, das der Schöpfer so perfekt eingerichtet hatte, dass sich sein weiteres Eingreifen erübrigte. In der Mitte sah Sacrobosco die Weltkugel, die alle sieben Planeten – Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn – umkreisten. Darum drehte sich das Firmament, die Sphäre der Fixsterne. Die göttliche Sphäre umhüllte und hielt diese Welt.

1472 wurde Sacroboscos Buch erstmals gedruckt. Es blieb auch im 16. Jahrhundert das verbindliche Elementarlehrbuch zur Astronomie. Wie groß seine Bedeutung war, kann man daran ermessen, dass es in alle wichtigen westeuropäischen Volkssprachen übersetzt wurde. Bis zum Jahr 1650 erschienen 240 Drucke dieses Standardwerks. Einen davon erwarb das MoneyMuseum kürzlich in einer Ausgabe des Jahres 1591. Sie überliefert nicht nur den eigentlichen Text von Sacrobosco, sondern auch die Kommentare bekannter Astronomen. Eli Vinet (1509-1587) war der bekannteste der drei genannten Persönlichkeiten. Er lehrte an der Universität von Coimbra im Königreich Portugal und war damit ein Zeitgenosse des Pedro Núñez, dessen berühmtester Schüler der Jesuit Christoph Clavius werden sollte. Es war dieser Christoph Clavius, der die Vorarbeiten für unseren modernen Kalender liefern sollte. Und sein Buch sollte das Lehrbuch des Sacrabosco als verbindliches Lehrmittel an den Universitäten ablösen. Der Titel des neuen Buchs: Ein Kommentar zu den Sphaeren des Johannes von Sacrobosco.

Bild: Ausgabe Venedig 1490. Winchester College Collection.

Ausgabe Venedig 1490. Winchester College Collection.

Kapitel 3: Die Kunst der Berechnung

Das 16. und 17. Jahrhundert sollte die entscheidende Epoche für die Astronomie werden. Quasi im Monatstakt machten Sterngucker neue Entdeckungen und verbreiteten sie mit Hilfe der noch jungen Druckerpresse. Damit vervielfältigte sich das Wissen über die Sternbewegungen. Durch das zusätzliche Datenmaterial gewannen die Mathematiker ganz andere Möglichkeiten zur Berechnung der Planetenbahnen.

Porträt des Christoph Clavius im geistlichen Gewand. Er hält einen Zirkel in der Hand, das wichtigste Hilfsmittel für geometrische Berechnungen. Im Hintergrund weitere astronomische Messgeräte.

Porträt des Christoph Clavius im geistlichen Gewand. Er hält einen Zirkel in der Hand, das wichtigste Hilfsmittel für geometrische Berechnungen. Im Hintergrund weitere astronomische Messgeräte.

Eine neue Weltsicht:
Das Buch des Christopher Clavius

Als Lichtgestalt der Astronomie galt im 16. Jahrhundert weder Kopernikus, noch Kepler oder gar Galilei, sondern der heute im breiten Kreisen vergessene Christopher Clavius. Er beeinflusste unser tägliches Leben nachhaltig. Ihm verdanken wir den immer noch gültigen Gregorianischen Kalender von 1582, nach dem heute die ganze Welt ihre Termine festlegt.

Clavius wurde 1538 in Bamberg geboren. Er war nicht nur hoch intelligent, sondern auch tief gläubig, eine Kombination, die ihn für eine Karriere bei den Jesuiten prädestinierte. Kein anderer Orden ließ seinen Schützlingen eine vergleichbare Ausbildung angedeihen: Clavius trat 1555 – also mit 17 Jahren – dem Orden bei. Schon ein Jahr später schickte man ihn an die berühmte Universität von Coimbra, wo damals der Mathematiker und Astronom Pedro Núñez lehrte. Núñez revolutionierte die Positionsbestimmung der Gestirne, so dass deren Stand wesentlich akkurater als zuvor dokumentiert werden konnte. Seine Innovationen waren von entscheidender Bedeutung für die Datenerfassung.

Fünf Jahre später wurde Clavius ans Collegio Romano in Rom berufen. Dort ernannte man ihn 1563 zum Professor für Mathematik. Die Astronomie gehörte zu den mathematischen Wissenschaften. Deshalb zeichnete Clavius auch verantwortlich für die Reorganisation der päpstlichen Sternwarte.

Und das führt uns zu einer entscheidenden Frage: Warum besaß der Papst überhaupt ein astronomisches Forschungszentrum? Schließlich glauben wir doch alle zu wissen, dass sich der Vatikan nicht für den astronomischen Fortschritt interessierte.

Warum interessierte sich die Kirche für Astronomie?

Tatsächlich gehörte die Kirche zu den wichtigsten Förderern der Astronomie, und zwar aus einem einfachen Grund: Sie hatte ein Sonne-Mond-Kalender-Problem. Während sie den Jahreswechsel nach dem Julianischen – auf der Sonne basierenden – Kalender berechnete, fixierte sie das Datum für das Osterfest nach dem Mondkalender: Es fiel auf den Sonntag nach dem ersten Vollmond nach dem Frühjahrsäquinoktium, also nach dem Tag, an dem die Sonne im Frühjahr genauso lang über wie unter dem Horizont steht. Damit musste im voraus berechnet werden, auf welchen Tag des kommenden Julianischen Jahres das Äquinoktium fallen werde. Dieses Datum musste man in den Mondkalender umrechnen, um den nächsten Sonntag als Ostertag zu benennen und davon ausgehend einen Teil des Kirchenjahres festzulegen.

Nun hat das Sonnenjahr nicht 365, sondern 365,2422 Tage, eine ungerade Zahl, die der Julianische Kalender mit einem Schalttag alle vier Jahre ausgleicht. Trotzdem weicht das Julianische Jahr jedes Jahr um exakt 0,0078 Tage vom Sonnenjahr ab. Das summiert sich. 1235, als Sacrobosco einen Vorschlag für eine Kalenderreform machte, betrug dieser Zeitunterschied bereits ca. 10 Tage!

Das hätte in Rom niemanden kümmern müssen, hätte der Papst nicht als pontifex maximus den Anspruch erhoben, weltweit die Verantwortung für die Zeitrechnung zu tragen. Er hatte dieses Amt von seinen römischen Vorgängern geerbt, von denen der berühmteste pontifex maximus Julius Caesar die letzte Kalenderreform durchgeführt hatte. Vor allem in einer Zeit, in der überall Kritik am Papsttum laut wurde, war es eine sinnvolle PR-Maßnahme, wenigstens diesen Missstand zu beseitigen. Die Mittel waren vorhanden: Der Papst beschäftigte seit Jahrhundert zur Berechnung des Osterdatums die besten Astronomen. Sie hießen Computisten. Christopher Clavius war einer von ihnen.

Warum die Kirche mit Kopernikus anfangs kein Problem hatte

Und diesen Computisten lieferte Nikolaus Kopernikus mit seinem Buch De revolutionibus orbium coelestium (= Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären) im Jahr 1543 eine neue Methode, wie sich die Umlaufbahnen der Planeten wesentlich einfacher vorherberechnen ließen. Wenn man davon ausging, dass die Erde um die Sonne kreiste, fielen auf einen Schlag all die lästigen Purzelbäume der Gestirne weg, die so schwierig vorherzusagen waren.

Seine Zahlen und Methoden wurden deshalb sehr schnell akzeptiert. Weltanschauliche Probleme gab es keine, denn der Herausgeber der Schrift hatte vorsichtshalber eine anonyme Einführung vorausgeschickt, dass Kopernikus sein Buch als ein Gedankenspiel sehe. Der Heliozentrismus sei eine Hypothese, mit deren Hilfe sich alle Berechnungen leichter durchführen ließen. Kopernikus konnte nicht mehr widersprechen. Er starb am 24. Mai 1543 im heute polnischen Frauenburg. Wahrscheinlich hat er sein in Nürnberg gedrucktes Buch nie in Händen gehalten.

Das Lehrbuch des Clavius

Titelblatt von Christoph Clavius, In sphaeram Ionnis de Sacro Bosco commentarius, herausgegeben 1596 in Venedig.

Titelblatt von Christoph Clavius, In sphaeram Ionnis de Sacro Bosco commentarius, herausgegeben 1596 in Venedig.

So flossen also auch die Erkenntnisse des Nikolaus Kopernikus ein, als Christoph Clavius im Jahr 1570 sein epochales und grundlegendes Lehrbuch zur Astronomie publizierte. Dieses Lehrbuch, das Clavius bescheiden In sphaeram Ioannis de Sacro Bosco commentarius (= Kommentar zu den Sphaeren des Johannes von Sacrobosco) nannte, löste das Werk des Sacrobosco an allen Universitäten ab. Alle wichtigen Astronomen lernten ihr Handwerk anhand des Buchs von Christoph Clavius.

Das neue Lehrbuch von Christoph Clavius war in der Theorie nur ein Kommentar zu Sacrobosco. Allerdings übertrafen die von Clavius verfassten Passagen die Länge des eigentlichen Textes um ein Vielfaches.

Das neue Lehrbuch von Christoph Clavius war in der Theorie nur ein Kommentar zu Sacrobosco. Allerdings übertrafen die von Clavius verfassten Passagen die Länge des eigentlichen Textes um ein Vielfaches.

Das Buch des Clavius wurde schon zu seinen Lebzeiten ständig nachgedruckt: allein zwischen der Erstpublikation und dem Tod des Clavius sieben Mal. Der Autor erweiterte und ergänzte jede einzelne Ausgabe, um auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben. Er erwähnt zum Beispiel in einer der späteren Ausgaben die Beobachtungen, die Galilei mit seinem Fernrohr machte.

Wer also auf dem neuesten Stand der Forschung bleiben wollte, musste sich alle sieben Ausgaben des Clavius vom Buchmarkt kommen lassen.

Das stellt uns vor zwei Fragen: Warum explodierte das astronomische Wissen in der Zeit um 1600 derart, dass dieses grundlegende Werk ständig ergänzt werden musste? Und wieso schluckte der Buchmarkt derart viele Ausgaben? Um das zu erklären, müssen wir vier Faktoren in Rechnung stellen:

  1. Die große Kalenderreform
  2. Die Erwerbsmöglichkeiten für Astronomen
  3. Die verbesserten Messmethoden
  4. Die Erfindung des Fernrohrs

Kapitel 4: Geänderte Spielregeln

Es gibt eine Scherzfrage unter Historikern: Was geschah am 10. Oktober 1582? Die Antwort ist einfach: Nichts. Denn der 10. Oktober 1582 wurde durch die Gregorianische Kalenderreform als einer von 10 Tagen ersatzlos gestrichen. Tatsächlich bewegten diese 10 fehlenden Tage mehr als die meisten Schlachten: Sie veränderten nicht nur die Zeitrechnung, sondern machten die Astronomie zu einem zentralen Thema.

Faktor 1: Die große Kalenderreform

Die Idee einer Kalenderreform war nicht neu. Seit Jahrhunderten wurde darüber diskutiert. Aber mit Papst Gregor XIII. und Christoph Clavius waren zwei „Macher“ am Drücker. Gregor setzte eine Kommission ein, und Clavius verwandelte die vielen Vorschläge, die Mathematiker aus allen Winkeln der katholischen Christenheit der Kommission vortrugen, in eine 800 Seiten umfassende Handlungsanweisung, die Gregor XIII. mit seiner Kalenderreform in die Tat umsetzte.

Und so verlas der Papst feierlich am 24. Februar 1582 eine Bulle, in der er für alle katholischen Gläubigen verpflichtend dekretierte, dass das Jahr 1582 10 Tage weniger haben solle. Auf Donnerstag, den 4. Oktober 1582, werde Freitag, der 15. Oktober, folgen. Zukünftig werde man auf den Schalttag, der alle vier Jahre zusätzlich fällig wurde, jeweils zur Jahrhundertwende verzichten, um weitere Verschiebungen zwischen den natürlichen und den kalendarischen Jahreszeiten zu vermeiden.

Im Rahmen des Augsburger Reichstags im September des Jahres 1582 forderte der päpstliche Legat von allen Reichsständen, den neuen Kalender einzuführen. Die Gründe dafür waren eigentlich überzeugend. Trotzdem waren die protestantischen Reichsstände nicht zur Kalenderreform bereit. Sie hatten dafür religiöse Motive: Mit der Übernahme des Kalenders hätten sie den Papst als pontifex maximus anerkannt und ihm die Oberhoheit über die Festlegung des Osterdatums und die davon abhängige Erstellung eines Kalenders zugesprochen. Doch das implizierte die Anerkennung des Papstes als obersten Richter auch in allen anderen Glaubensangelegenheiten. Das konnten und wollten die Protestanten nicht akzeptieren. Deshalb verweigerten sie die Kalenderreform und blieben beim Julianischen Kalender. Eine kuriose Situation!

Titelblatt der Bulle Inter gravissimas, mit der die Gregorianische Kalenderreform allen Katholiken zur Pflicht gemacht wurde.

Titelblatt der Bulle Inter gravissimas, mit der die Gregorianische Kalenderreform allen Katholiken zur Pflicht gemacht wurde.

Halten wir an dieser Stelle fest, dass die Kalenderreform das allgemeine Interesse an der Astronomie enorm förderte.

Wir dürfen davon ausgehen, dass man im ganzen Reich darüber diskutierte, welche Gründe es für die Kalenderreform gab, wie sie beschaffen war, welche Vorteile sie hatte – und warum man als Protestant trotzdem den päpstlichen Kalender auf keinen Fall benutzen durfte.

Titelblatt der von Nikolaus Winckler verfassten Broschüre „Bedencken Von Künfftiger verenderung Weltlicher Policey vnd Ende der Welt auß heyliger Göttlicher Schrifft vnnd Patribus, auch auß dem Lauff der Natur des 83. biß auff das 88. vnd 89. Jars. Erschienen in Augsburg im Jahr 1582.

Titelblatt der von Nikolaus Winckler verfassten Broschüre „Bedencken Von Künfftiger verenderung Weltlicher Policey vnd Ende der Welt auß heyliger Göttlicher Schrifft vnnd Patribus, auch auß dem Lauff der Natur des 83. biß auff das 88. vnd 89. Jars. Erschienen in Augsburg im Jahr 1582.

Auf welchem Niveau damals die Bürger im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation diskutierten, darüber informiert uns eine kleine Broschüre, die der Augsburger Druckerei-Besitzer Michael Manger 1582, also im Jahr der Kalenderreform, herausgab. Ihr Verfasser hieß Nikolaus Winkler (1529-1613). Er war seines Zeichens Stadtrat und Astronom der Reichsstadt Schwäbisch-Hall, im 16. Jahrhundert eines der aktiven Zentren des Luthertums. Der Titel seiner Broschüre lautet in modernes Deutsch gebracht: Erwägungen über die zukünftige Veränderung der weltlichen Ordnung und das Ende der Welt in den Jahren von 1583 bis zu den Jahren 1588 und 1589 anhand der heiligen Schrift, der Schriften der Altvorderen und der Naturgesetze.

Es ist nicht die einzige Schrift, die Winkler zu diesem Thema verfasste. Er hatte sich auf Apokalypsen spezialisiert und war damit nicht der einzige. Apokalyptische Prophezeiungen boomten im 16. Jahrhundert und wurden von der protestantischen Geistlichkeit gefördert. Die Endzeitstimmung verlieh nämlich der Reformation ein Gefühl der Dringlichkeit. Wer mit dem Ende der Welt rechnete, war eher geneigt, überkommene und bequeme Glaubensvorstellungen aufzugeben. Viele Drucker befeuerten diese Bewegung, denn sie war ein gutes Geschäft. Schon damals gaben Menschen Geld aus, um zu lesen, dass es nur noch schlimmer kommen werde.

Für uns ist Winklers Broschüre deshalb so interessant, weil sie zeigt, welches Vorwissen ein populärer Autor bei seiner Zielgruppe, dem Deutsch lesenden, gebildeten Bürgertum voraussetzen konnte. Seine Leser kannten den Begriff der Konjunktion, also der scheinbaren Begegnung zweier Himmelskörper und wussten, wie die Planeten sowie die wichtigsten Sternzeichen hießen und mit welchen Kürzeln sie bezeichnet wurden. Keine Selbstverständlichkeit!

Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass Nikolaus Winkler keinen Unterschied zwischen Astronomie und Astrologie machte. Für ihn war die Astrologie eine naturwissenschaftliche Methode, um das Schicksal von Mensch und Welt vorherzusagen.

Faktor 2: Erwerbsmöglichkeiten für Astronomen

Nach der Kalenderreform wollte jeder gebildete Mann mitreden, sobald es um die Astronomie ging. Man konnte sich entweder selbst weiterbilden und die anderen mit seinem eigenen Wissen beeindrucken. Oder, viel einfacher, man hielt sich – wenn man über die Mittel verfügte – einen eigenen Astronomen. Der plauderte an der festlichen Tafel amüsant über astronomische Themen, nachdem die Hofnarren ihre Scherze gemacht hatten. Und damit bot sich jedem Mathematiker ein reiches Auskommen an den vielen fürstlichen Höfen, wenn er willens war, sich auf die Astronomie zu spezialisieren. Die bekanntesten Astronomen wurden nämlich mit beeindruckenden Jahresrenten gelockt. Für die Widmung astronomischer Bücher revanchierten sich die so Bedachten mit wertvollen Geschenken. Und selbst im bürgerlichen Haushalt fand der nicht ganz so bekannte Sterngucker im Austausch für sein Wissen zumindest Quartier und Unterhalt.

Kurz: die Kalenderreform schuf einen Markt für astronomische Erkenntnisse. Was vorher eine mathematische Disziplin war, wurde zu einem Luxusprodukt, mit dem sich gut verdienen ließ. Und so bestritten immer mehr Wissenschaftler ihren Lebensunterhalt mit der Astronomie, was geradezu zwangsläufig zu einer Beschleunigung der Forschung führte.

Faktor 3: Die verbesserten Messmethoden und das Zahlenwerk des Tycho Brahe

Die Sternwarte von Uraniborg. Zeitgenössische Darstellung von 1598.

Die Sternwarte von Uraniborg. Zeitgenössische Darstellung von 1598.

Einer von ihnen war der dänische Adlige Tycho Brahe. Ein Adliger, wohl gemerkt, der es vorzog, sich seinen Lebensunterhalt im Observatorium zu verdienen, statt in der Verwaltung oder im Heer. Und das obwohl Tycho Brahes Vater über hervorragende Verbindungen zum dänischen König verfügte. So kam es, dass König Friedrich II. von Dänemark und Norwegen ein Vermögen investierte, um zwei große Observatorien unter der Leitung von Tycho Brahe zu unterhalten. Brahes Datenmaterial war streng geheim und nur ihm zugänglich.

Johannes Kepler war nicht nur Mathematiker, sondern auch Protestant. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich in der katholischen Steiermark. Das war ein Problem im Zeitalter der Glaubenskriege. Kepler verlor seinen Posten, und da traf es sich gut, dass man am Kaiserhof einen Mathematiker brauchte. Dorthin war Tycho Brahe nämlich umgezogen, nachdem sein königlicher Förderer gestorben war. Mitgenommen hatte er sein gewaltiges Zahlenmaterial. Um das auszuwerten, brauchte er wieder einmal jemanden, der seine Arbeit tun sollte.

Man könnte nicht gerade behaupten, dass Kepler und Brahe sich auf den ersten Blick sympathisch waren, im Gegenteil. Brahe hielt die Zahlen zurück, liess Kepler gerade mal das sehen, was der für seine Rechnungen brauchte. Und der war schon dabei, die Arbeit hinzuschmeissen, als Brahe völlig überraschend verstarb. Für die Wissenschaft war das ein Glück. Kepler wurde Brahes Nachfolger als kaiserlicher Hofastronom. Er erbte das gesamte Zahlenmaterial. Auf dieser Basis entwickelte er seine berühmten Gesetze, die beschrieben, dass die Planeten die Sonne auf elliptischen Bahnen umkreisen. Kepler wurde zum großen Unterstützer und Förderer von Galileo Galilei, der, wie er, ein heliozentrisches Bild des Kosmos entwarf.

Faktor 4: Endlich, das Fernrohr!

Den Durchbruch aber brachte eine völlig neue Technologie, die im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts die Astronomie revolutionierte. Im Jahr 1608 entstand in den Niederlanden das erste Fernrohr. Sein Erfinder soll ein Brillenschleifer gewesen sein. Ob dieser Erfinder nun Zacharias Janssen, Hans Lipperhey oder Jacob Metius hieß, ist für unsere Fragestellung völlig nebensächlich.

Von zentraler Bedeutung ist die relativ simple Konstruktion eines Fernrohrs, wenn man das Prinzip einmal verstanden hat. Deswegen ließ sich seine Herstellung nicht durch ein Privileg resp. Patent schützen. Alles, was man dafür brauchte, waren ausgezeichnet geschliffene Linsen, wie man sie vor allem in den Niederlanden und in Venedig anfertigte. Dort war die Brillenproduktion angesiedelt, der ein stark angewachsener Buchmarkt gerade einen Boom bescherte. Um Brillen herzustellen, braucht man vor allem Linsen, und die wurden nun auch in den neuen Fernrohren verarbeitet: Mit Hilfe dieses Rohres werden nämlich die Lichtstrahlen gebündelt durch eine konvexe Sammellinse und eine konkave Zerstreuungslinse geleitet. Wie scharf das Bild ist und welche Vergrößerung erzielt wird, hängt von der Qualität der Linsen ab.

Da traf es sich hervorragend, dass sich in Padua ein unbedeutender Mathematik-Professor namens Galileo Galilei mit seinem Instrumentenbau ein Zubrot zum kläglichen Einkommen verdiente! Galileo Galilei wurde am 15. Februar 1564 als Sohn eines Musikers und Gelegenheitstuchhändlers aus verarmtem Adel geboren. Als Galilei 1609 das erste Fernrohr in Händen hielt, war er ein unbekannter Mathematikprofessor. Er bekleidete sein Amt, weil er hervorragende Protektion besaß, nicht weil man seine Leistungen schätzte. Aber dank seines profitablen Instrumentenhandels kannte Galilei die besten Glasbläser und Linsenschleifer von Murano. Sie waren der Konkurrenz weit überlegen, so dass Galileis Fernrohr es ebenfalls war. Mit diesem Fernrohr sah Galilei klarer und genauer als je ein Mensch vor ihm, was sich am Himmel ereignete.

Kapitel 5: Das Phänomen Galileo Galilei

Er gilt als einer der Heroen, ja Märtyrer unserer modernen, wissenschaftlichen Welt, jener Galileo Galilei, dem die Geschichtsschreibung unterstellt, er habe für die Freiheit der Forschung gekämpft. Tatsächlich war alles viel weniger idealistisch. Galilei ging es in erster Linie um Geld, das sich mit seinem Fernrohr und den damit gemachten Entdeckungen generieren ließ.

Im März des Jahres 1610 publizierte Galileo Galilei seinen „Sternenboten“. In dieser Schrift präsentierte er einer staunenden Öffentlichkeit, was er da mit seinem Fernrohr entdeckt hatte. So erläuterte er, dass es sich bei der Milchstraße nicht um einen Nebel, sondern um eine Fülle von kleinen Sternen handle. Er beschrieb den Mond mit seiner rauen Oberfläche, seiner hellen und dunklen Seite. Am Vielversprechendsten waren vier kleine Sterne, ganz nahe bei Jupiter. Die Dinger verschwanden und tauchten wieder auf. Das erklärte Galilei damit, dass ihre Bahn sie zeitweise hinter den Jupiter führte. Das barg wissenschaftlichen Zündstoff: Hatte Galilei recht, war bewiesen, dass wenigstens vier Planeten nicht um die Erde, sondern einen anderen Planeten kreisten.

Und das bedeutete nicht nur wissenschaftliche Anerkennung, sondern die Chance, einen wirklich potenten Förderer für die eigene Forschung zu interessieren. Galilei widmete dem jungen Cosimo de’ Medici, Großherzog der Toskana, seinen Sternenboten. Als Draufgabe nannte er die Monde sidera medicea – Mediceische Gestirne.

Europa interessierte sich für Galilei, und damit interessierte sich auch der Florentiner Hof für ihn. Denn der Patron eines so begehrten Mannes zu sein, verschaffte Cosimo II. Prestige. Und dafür war er bereit, tief in die Kasse zu greifen. Cosimo ernannte Galilei noch im Herbst des Jahres 1610 zum Florentiner Hofmathematiker, Hofphilosophen und zum leitenden Mathematikprofessor der Universität von Pisa, selbstverständlich ohne jede Lehrverpflichtung. Das bedeutete ein üppiges Gehalt, zusätzliche Geschenke sowie alle Vergünstigungen, die ein fürstlicher Hof so zu bieten hatte.

Warum wurde Galileo Galilei dann von der Kirche verurteilt?

Zu Beginn feierten auch die maßgeblichen kirchliche Astronomen Galileo Galilei und seine Entdeckungen. Das fiel ihnen nicht schwer, denn Galilei hielt sich geradezu vorbildlich zurück, sobald es darum ging, den Wahrheitsgehalt der Bibel in Frage zu stellen.

1623 bestieg ein Förderer Galileis den Papstthron: Urban VIII., mit bürgerlichem Namen Maffeo Barbarini. Er war bekannt für seine wissenschaftlichen Neigungen. Galilei kannte ihn seit vielen Jahren. So dauerte es nur ein Jahr, bis Galilei nach Rom reiste, um sich der Unterstützung eines so hochgestellten Gönners persönlich zu versichern. Dieser soll ihn ermutigt haben, sein Buch über das kopernikanische System zu publizieren – selbstverständlich unter der Bedingung im hypothetischen Bereich zu bleiben.

Der inzwischen gut 60-jährige Galilei machte sich ans Werk, die Summe seiner lebenslangen Forschung zu ziehen. Der Titel lautete Dialogo di Galileo Galilei sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tolemaico e Copernicano (= Dialog von Galileo Galilei über die zwei wichtigsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische).

Galilei fand aber – vielleicht im Glauben, Urban VIII. habe sein Buch tatsächlich gelesen und stimme ihm zu – seine eigene Lösung. Galileos neues Buch – Dialogo – erschien im Jahr 1632 und hatte gewaltigen Erfolg. Sein Buch war ein literarisches Meisterwerk, geschrieben für das gebildete Bürgertum, und zwar nicht in lateinischer, sondern in italienischer Sprache, ohne allzu viel Mathematik und Theorie. Stattdessen erfand Galilei ein Gespräch, bei dem der intelligente Salviati und der ziemlich dumme Simplicius versuchen, einen gebildeten Bürger von ihrem Weltbild zu überzeugen. Natürlich sind die Argumente des Simplicius leicht zu durchschauen. Seine Art der Argumentation machen die kirchliche Position geradezu lächerlich.

Dies war mit Sicherheit die krasseste Fehleinschätzung, die Galilei sich leistete. Auch ein Papst, der privat vielleicht seine Meinung teilte, konnte es sich nicht leisten, die eigene Position in Frage zu stellen. Nach etlichen päpstlichen Zornausbrüchen kam es zum Inquisitionsprozess, der weder für die Kirche, noch für Galilei ein Ruhmesblatt ist. Galilei verteidigt den Heliozentrismus nicht. Im Rahmen des zweiten Verhörs argumentiert er sogar, er habe Kopernikus eigentlich widerlegen wollen, habe aber im Übereifer der Gegenseite zu gute Argumente in den Mund gelegt. Am 22. Juni 1633 schwor Galileo Galilei seinen „Irrtümern“ ab. „Aufrichtigen Herzens und ungeheuchelten Glaubens“ verabscheue er seine Ketzereien, so lesen wir es in den Prozessakten.

Galilei verbrachte die letzten Jahre seines Lebens im ehrenvollen und bequemen Hausarrest. Er starb am 8. Januar 1642 im Alter von 77 Jahren. Der Bann, den die Kirche über sein Werk ausgesprochen hatte, wurde 1718 aufgehoben, als ein Florentiner Drucker mit guten Verbindungen sein Gesamtwerk neu auflegen wollte.

Tatsächlich ist der Galilei „Und sie bewegt sich doch!“ eine Erfindung der Historiker des 19. Jahrhunderts. Im 19. Jahrhundert entstand ein neues historische Konzept: Entwicklung wurde als Resultat eines Kampfes verstanden. Marx entdeckte den Klassenkampf. Den Grundstein legte John William Draper im Jahr 1874 mit seinem Buch „History of the Conflict between Religion and Science“. Darin konstruierte er künstlich den Antagonismus zwischen Kirche und Wissenschaft. Galilei kam darin die Rolle des Kämpfers für die Erkenntnisfreiheit des Menschheit zu. Drapers Buch erlebte innert kürzester Zeit 50 Auflagen und wurde in zehn Fremdsprachen übersetzt.

Porträt ds Galileo Galilei, gemalt von Domenico Tintoretto - collections.rmg.co.uk

Porträt ds Galileo Galilei, gemalt von Domenico Tintoretto - collections.rmg.co.uk

Galileo Galilei, Discorso al Serenissimo Don Cosimo II, 1655

In seiner Schrift „Über die schwimmenden Körper“ klärte Galilei ein für allemal, dass das spezifische Gewicht und nicht die Form das entscheidende Kriterium dafür ist, ob etwas auf dem Wasser schwimmt. Auch Aristoteles konnte irren.

In seiner Schrift „Über die schwimmenden Körper“ klärte Galilei ein für allemal, dass das spezifische Gewicht und nicht die Form das entscheidende Kriterium dafür ist, ob etwas auf dem Wasser schwimmt. Auch Aristoteles konnte irren.

Die Gesamtausgabe der Werke des Galileo Galilei, die 1718 in Florenz publiziert wurde. Damit dieses Werk in Italien gedruckt werden konnte, hatte der Papst den Bann der Werke Galileos aufgehoben. Es fehlen lediglich die Discorsi, die zum Inquisitionsprozess geführt hatten.

Die Gesamtausgabe der Werke des Galileo Galilei, die 1718 in Florenz publiziert wurde. Damit dieses Werk in Italien gedruckt werden konnte, hatte der Papst den Bann der Werke Galileos aufgehoben. Es fehlen lediglich die Discorsi, die zum Inquisitionsprozess geführt hatten.

Kapitel 6: Die Weltmaschine

Am 22. Juni 1633 endete der Prozess gegen Galileo Galilei. Nur eine Generation später wird Newton die Regeln der Gravitation entdeckt haben, die Keplers und Galileis heliozentrisches Weltbild als communis opinio der wissenschaftlichen Welt bestätigten.

Neue Formen der Forschung: Die Royal Society

Am 28. November 1660 gab eine illustre Gesellschaft von Erfindern, Wissenschaftlern und Naturphilosophen in London bekannt, dass sie sich in Zukunft wöchentlich versammeln werde, um gemeinsam Experimente durchzuführen und wissenschaftliche Vorträge zu hören. Der englische König Charles II., der erst wenige Monate zuvor aus dem Exil zurückgekehrt war, erlaubte ihr, das Attribut königlich zu benutzen. Die Royal Society war geboren. Sie wurde zu einem Motor des wissenschaftlichen Fortschritts. Durch den regelmäßigen Kontakt, den die Royal Society ermöglichte, inspirierten sich die führenden Geister Großbritanniens gegenseitig. Gleichzeitig sorgte der Sekretär der Gesellschaft dafür, dass ihre Mitglieder stets auf dem neuesten Stand der ausländischen Forschung blieben. Vor allem der ständige Austausch auf informeller Ebene beschleunigte die Wissenserweiterung enorm. Dauerte es früher mitunter Jahre, bis ein Wissenschaftler seine Ideen, Experimente, Beobachtungen und Ergebnisse zu einem Buch zusammenfasste und so die Forschung einen Schritt weiter brachte, diskutierten die Mitglieder der Royal Society bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt die gewonnenen Erkenntnisse. Damit dachte nicht nur der Mann über eine gute Idee nach, der sie ursprünglich gehabt hatte, sondern viele Männer – keine Frauen; sie wurden erst 1945 als Mitglieder der Royal Society zugelassen.

Die neue Vorgehensweise brachte einen unangenehmen Nebeneffekt: Hatte früher der Publikationstermin eines Buchs eindeutig festgelegt, wer der Urheber einer neuen Entdeckung war, verschwamm mit der Royal Society diese Genauigkeit. Wem sollte die Urheberschaft an einer Entdeckung zugeschrieben werden: Dem, der eine Idee erstmals geäußert hatte, oder dem, der den Beweis der These lieferte?

So feiern wir Isaac Newton als genialen Erfinder des Gravitationsgesetzes und wissen nichts über sein wissenschaftliches Umfeld. Dabei arbeitete auch Newton nicht im luftleeren Raum. Deshalb werfen wir in diesem Kapitel einen Blick auf die Männer, mit denen sich Newton um die Urheberschaft seiner Ideen stritt.

Eine Sammlung von Lichtmühlen, entwickelt von William Crooke, aus der Sammlung der Royal Society. Sie sind ein Beispiel dafür, dass auch im 19. Jahrhundert das wissenschaftliche Experiment von der Royal Society gepflegt wurde. Foto: cc-by 4.0 / The wub / Wikicommons.

Eine Sammlung von Lichtmühlen, entwickelt von William Crooke, aus der Sammlung der Royal Society. Sie sind ein Beispiel dafür, dass auch im 19. Jahrhundert das wissenschaftliche Experiment von der Royal Society gepflegt wurde. Foto: cc-by 4.0 / The wub / Wikicommons.

Der junge Newton führt einer interessierten Öffentlichkeit seine Experimente mit dem Licht vor. Durch ein Prisma wird das farblose Licht in die Spektralfarben aufgespalten. Wie viele Bilder Newtons entstand auch dieses lange nach seiner Kanonisierung als britischer Held der Wissenschaft. cc-by 4.0; https://wellcomecollection.org/works/dfggz9ra

Der junge Newton führt einer interessierten Öffentlichkeit seine Experimente mit dem Licht vor. Durch ein Prisma wird das farblose Licht in die Spektralfarben aufgespalten. Wie viele Bilder Newtons entstand auch dieses lange nach seiner Kanonisierung als britischer Held der Wissenschaft. cc-by 4.0; https://wellcomecollection.org/works/dfggz9ra

Das Titelblatt der 1687 erstmals publizierten Philosophiae naturalis principia mathematica. Die für den Druck notwendige Erlaubnis gab ein heute sehr bekannter Tagebuchschreiber: Samuel Pepys. Auch die Royal Society wird auf dem Titel als Societatis Regiae erwähnt.

Das Titelblatt der 1687 erstmals publizierten Philosophiae naturalis principia mathematica. Die für den Druck notwendige Erlaubnis gab ein heute sehr bekannter Tagebuchschreiber: Samuel Pepys. Auch die Royal Society wird auf dem Titel als Societatis Regiae erwähnt.

Robert Hooke

Einer von hieß Robert Hooke (1635-1703) und stammte aus einer Familie von Priestern. Hooke zeigte eine Begabung für die Naturwissenschaften und entwickelte ein einzigartiges Talent dafür, auf Grund von Ideen und Plänen anderer funktionierende Apparate zu bauen. Viele wohlhabende Privatgelehrte schätzten (und bezahlten) Hookes Unterstützung. Der wichtigste war Robert Boyle, das 14. Kind des Great Earl of Cork. Für ihn realisierte Hooke im Jahr 1659 eine Vakuumpumpe nach deutschem Vorbild.

Nun war Boyle eines der zwölf Gründungsmitglieder der Royal Society. Er führte Hooke als seinen Assistenten in die Gesellschaft ein. Auch die wusste Hookes Talente zu schätzen und ernannte ihn im Jahr 1662 einstimmig zu ihrem (bezahlten) „Curator of Experiments“. 1663 nahm sie ihn gar als (nicht zahlendes) Mitglied auf. Wie alle Wissenschaftler seiner Zeit beschäftigte sich Hooke mit den unterschiedlichsten Themen, und dazu gehörte auch die Astronomie. So konstruierte er ein verbessertes Fernrohr, mit dem er erstmals nachwies, dass sich Jupiter und Mars um ihre eigene Achse drehten. Doch gerade in diesem Forschungsbereich erwuchs dem brillanten Kopf ein Konkurrent um die Gunst der reichen Förderer: der um sieben Jahre jüngere Isaak Newton.

Newton: Ein Genie vom Lande

Isaak Newton wurde am 25. Dezember 1642 als Sohn eines Schafzüchters geboren. Der Vater starb noch vor seiner Geburt; durch die Heirat mit einem wohlhabenden Gutsbesitzer gelang der Mutter ein gesellschaftlicher Aufstieg, der es ihrem Sohn Isaak ermöglichte, am Trinity College in Cambridge zu studieren. Doch die kompletten Studiengebühren konnte sich die Familie nicht leisten. Deshalb war der junge Newton in den ersten Jahren gezwungen, als Kammerdiener für Studenten aus wohlhabenden Familien zu arbeiten. Ob es das war, was zu Newtons Verbitterung führte, die ihn trotz all seiner Erfolge zu einem recht unerquicklichen Zeitgenossen machte?

Nach Abschluss des Bachelors im Jahr 1665 kehrte Newton auf das väterliche Landgut zurück. Nicht freiwillig. Die Universität von Cambridge stellte wegen der großen Pest ihren Betrieb ein. Diese Zeit auf dem Lande verklärte Newton später als sein annus mirabilis, sein Jahr der Wunder. Er behauptete, in diesem Jahr seine drei großen Entdeckungen gemacht zu haben: seine Theorie des Lichts, die Infinitesimalrechnung und das Gravitationsgesetz.

Das Gravitationsgesetz – ist dies die Leistung Newtons?

Die ganze Royal Society diskutierte damals darüber, wie sich Keplers aus Beobachtungen abgeleitetes drittes Planetengesetz mathematisch-physikalisch würde begründen lassen.

Sie erinnern sich: Kepler berechnete auf der Basis des Zahlenwerks von Tycho Brahe die Planetenbahnen. Er postulierte, dass es sich bei diesen Bahnen nicht um Kreise, sondern um Ellipsen handle und dass die Planeten sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf diesen Bahnen bewegten. Mathematisch formuliert heißt das:

Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wie die dritten Potenzen der großen Halbachsen ihrer Bahnen.

Im Februar 1685 lag der Royal Society ein 24 Seiten umfassender Aufsatz aus der Feder Newtons vor, der seine Thesen zusammenfasste. Der Titel des Traktats lautete De motu corporum, übersetzt: Über die Bewegung der Körper.

Damit galt Newton als Urheber der Gravitationsgesetze. Er formulierte sie weiter aus und legte mit ihrer ausführlichen Publikation im Jahr 1687 die Grundlagen der modernen Physik. Sein epochales Werk nannte er Philosophiae naturalis principia mathematica, übersetzt: Die mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie. In die Wissenschaftsgeschichte ist dieses Werk als die „Principia“ eingegangen.

Plagiatsvorwürfe

Noch während Newton in Zusammenarbeit mit Halley den Druck vorbereitete, informierte ihn dieser, dass Robert Hooke erwarte, dass sein Anteil an den Entdeckungen gebühren gewürdigt werde.

Robert Hooke ging damit an die wissenschaftliche Öffentlichkeit. Doch die folgte Newtons Argumentation, dass nicht derjenige eine Entdeckung für sich in Anspruch nehmen könne, der sie intuitiv als erster formuliert, sondern derjenige, der sie allgemeingültig bewiesen habe.

Die Principia, und warum sie von einer derart großen Bedeutung waren

Warum aber legte Hooke so großen Wert darauf, ausgerechnet in diesem Werk angemessen gewürdigt zu werden? Schließlich hatte er selbst derart viele bedeutende Entdeckungen gemacht, dass wir uns nicht vorstellen können, dass er auf eine mehr oder weniger angewiesen war. Nun, die Principia besaßen eine andere Qualität, das verstanden ihre Zeitgenossen sofort. Die Principia waren nicht einfach ein weiteres wissenschaftliches Werk, sondern veränderten den menschlichen Blick auf das Verhältnis zwischen Erde und Weltall grundlegend. Newton verband nämlich durch sein Gravitationsgesetz erstmals Erde und Kosmos derart, dass es zwischen beiden Sphären keinen Unterschied mehr gab. Sein revolutionäres Gesetz wird heute in folgende Worte gefasst:

Die zwischen zwei Körpern wirkende Gravitationskraft entspricht dem Produkt der Masse dieser beiden Körper geteilt durch den Abstand ihrer Massenmittelpunkte multipliziert mit der Gravitationskonstante.

Erinnern wir uns daran, dass Newtons Principia in einer Epoche publiziert wurden, in der sich die so genannte Aufklärung formierte. Der 30-jährige Krieg hatte allen denkenden Menschen vor Augen geführt, welch schrecklichen Folgen es haben konnte, wenn Fürsten die Religion vorschoben, um ihre eigenen Machtansprüche zu bemänteln. Gleichzeitig war der Einfluss der katholischen Kirche zurückgegangen, weil die Herrscher im Zeichen des Absolutismus keine zweite Autorität in ihrem eigenen Staat dulden mochten. Und damit war zumindest in den Augen einer kleinen intellektuellen Elite der Weg frei zu einer völlig neuen Form der Religion, einer Religion, in der nicht mehr Autoritäten die Glaubensinhalte vorschrieben, sondern der gesunde Menschenverstand.

Newtons Entdeckungen passten dazu: Nein, Gott war nicht der bärtige Greis, der in sieben Tagen den Kosmos und die Welt geschaffen hatte. Und Gott war vor allem nicht der kleinliche Moralapostel, als den ihn manche seiner Vertreter erscheinen ließen. Gott wurde zum großen Uhrmacher, der aus Liebe zum Menschen seine wunderbare Welt gebaut hatte, die wie ein Automat nach den immer gleichen Regeln funktionierte. Man musste diese Regeln nur verstehen, und genau das hatte Newton mit seinem Gravitationsgesetz getan.

Deismus nannte man das neue Konzept. Die meisten großen Wissenschaftler und Philosophen des 18. Jahrhunderts empfanden sich als Deisten. Sie glaubten an einen Gott, dessen Wirken auf der Erde ausschließlich durch seine Naturgesetze erfahrbar war. Ein Deist war kein Atheist, die Schöpfung für ihn kein Zufall.

Newton Superstar

Seine Anhänger machten aus dem durchaus menschlichen Newton ein Genie, ein göttliches Wesen, dem man nur mit höchster Verehrung begegnen durfte. 1703 wurde Newton zum Präsidenten der Royal Society gewählt; 1705 adelte ihn der König. Sir Isaak Newton starb am 28. März 1727. Seine Beerdigung wurde zu einem Ereignis von europäischer Bedeutung.

Als sein deutscher Konkurrent Gottfried Wilhelm Leibniz zu Grabe getragen wurde, war dagegen nur ein einziger Mann von Stand anwesend, und das Grab geriet schnell in Vergessenheit. Grund dafür war der Reputationsschaden, den Newton willentlich dem etwas jüngeren Kollegen zufügte. Leibniz hatte nämlich die Infinitesimalrechnung – eine damals revolutionäre Form der Mathematik – entwickelt, und zwar unabhängig von Newton. Dazu war Leibniz’ Werk bereits 1684 erschienen, und damit mehr als zehn Jahre vor Newtons. Trotzdem pochte Newton darauf, dass er der Urheber der Infinitesimalrechnung sei. Seine engsten Freunde bezichtigten Leibniz, er habe bei einem Besuch der Royal Society im Jahr 1676 Newtons Notizen kopiert und so dessen Ideen gestohlen. Newton unterstützte diese Behauptung mit der gesamten Autorität.

Nun waren Newtons Principia so kompliziert, dass ein normaler, gebildeter Leser sie schlicht nicht verstand. Deshalb entwickelte sich eine viel gelesene Literatur von Newton-Interpretationen, die nicht nur seine Thesen für ein breiteres Publikum aufbereiteten, sondern diesem auch erklärten, welch überragendes, einzigartiges Genie Newton gewesen sei.

Titelblatt von Henry Pembertons Erläuterungen zu Werk und Persönlichkeit Newtons mit dem Titel A View of Sir Isaac Newton’s Philosophy, erschienen in Dublin im Jahr 1728.

Titelblatt von Henry Pembertons Erläuterungen zu Werk und Persönlichkeit Newtons mit dem Titel A View of Sir Isaac Newton’s Philosophy, erschienen in Dublin im Jahr 1728.

Ein gutes Beispiel ist Henry Pemberton, dessen Werk das MoneyMuseum kürzlich erwarb. Dass das MoneyMuseum keine Ausgabe der Principia besitzt, hat natürlich einen praktischen Grund: Newtons Principia erschienen bei ihrer lateinischen Erstausgaben in lediglich 80 Exemplaren; von der englischen Übersetzung wurden nur 400 Stück gedruckt. So wurde eine lateinische Erstausgabe im Jahr 2016 bei Christie’s für 3,7 Mio. US Dollar verkauft.

Es geht dem MoneyMuseum wie den meisten Bildungsbürgern zur Zeit der Aufklärung. Sie besaßen nicht die Originalwerke von Newton, sondern die Interpretationen seiner Verehrer, Bücher wie das von Henry Pemberton mit dem Titel A View of Sir Isaac Newton’s Philosophy.

Das heliozentrische Weltbild als wissenschaftlicher Allgemeinplatz

Wie man es dreht und wendet, mit Newtons Principia galt das heliozentrische Weltbild als anerkannte Meinung der gesamten wissenschaftlichen Welt. Kein ernstzunehmender Forscher hätte es seitdem gewagt, Zweifel daran zu formulieren. Die katholische Kirche, die offiziell noch bis 1822 daran festhielt, ihre Druckgenehmigung nur dann zu erteilen, wenn das heliozentrische Weltbild als Hypothese behandelt wurde, spielte in einer säkularisierten Welt keine Rolle mehr.

Basis des Erfolgs wurde sein astronomisches Modell, ein Automat, der die Vorgänge am Himmel sichtbar und begreifbar machte. Wer an der Kurbel des Modells unten links drehte, konnte tatsächlich sehen, wie sich die Erde um die Sonne, der Mond um die Erde drehte. James Ferguson wurde damit zu einem der beliebtesten populären Astronomen des 18. Jahrhunderts. Er hielt in allen bedeutenden städtischen Zentren Englands Vorträge, in die unzählige Laien strömten. Sie ließen sich begeistert Fergusons Automaten vorführen.

Basis des Erfolgs wurde sein astronomisches Modell, ein Automat, der die Vorgänge am Himmel sichtbar und begreifbar machte. Wer an der Kurbel des Modells unten links drehte, konnte tatsächlich sehen, wie sich die Erde um die Sonne, der Mond um die Erde drehte. James Ferguson wurde damit zu einem der beliebtesten populären Astronomen des 18. Jahrhunderts. Er hielt in allen bedeutenden städtischen Zentren Englands Vorträge, in die unzählige Laien strömten. Sie ließen sich begeistert Fergusons Automaten vorführen.

Kapitel 7: Zum Mond

Wenn im Weltall dieselben Gesetze gelten wie auf unserer Erde, dann ist die Erde nicht mehr einmalig. Es könnte viele weitere Erden geben, und das impliziert die Frage, wie es mit der Einmaligkeit des Menschen steht. Und wenn es weitere Erden gibt, kann man sie erobern?

Jahrhundertelang war allein der Gedanke, die knapp 400.000 Kilometer zum Mond zu fliegen, der Inbegriff von Unmöglichkeit. Dies änderte sich mit Johannes Kepler, der mit seinem Bild vom Sonnensystem die Erde zu einem Planeten wie andere auch machte. Keplers Vorstellungen kannte keinen Unterschied zwischen irdischer und göttlicher Sphäre. Und wer wusste es schon? Sonne, Mond und Sterne mochten genauso besiedelt sein wie die Erde. Damit stellte sich Kepler die Frage, ob man wohl zum Mond gelangen könne, und wie dort die Lebensbedingungen seien. Kepler dachte als Wissenschaftler. Er formulierte wohlüberlegte Thesen.

Natürlich hätte Johannes Kepler diese Überlegungen in seiner Epoche nicht als wissenschaftliches Traktat veröffentlichen können. Schließlich galt selbst der Heliozentrismus lediglich als Hypothese. Nie hätte die Kirche Spekulationen über außerirdisches Leben erlaubt. Deshalb erschienen Keplers Thesen nicht als wissenschaftliches Buch, und schon gar nicht zu seinen Lebzeiten. Erst sein Sohn Ludwig veröffentlichte das väterliche Manuskript, allerdings nicht als wissenschaftliches Buch, sondern als Roman. Keplers Traum konnte niemand verurteilen.

Item 1 of 7

Wo es Welten gibt, muss man sie erobern

Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation fand Keplers Traum kaum ein Echo. Ganz anders in England, in jener Nation, in der man sich daran gewöhnt zu haben schien, dass selbst Undenkbares zur Realität wurde. Denken wir daran, was sich alles in England zwischen 1575 und 1625 veränderte: 1580 kehrte Sir Francis Drake von seiner Weltumrundung zurück. 1588 besiegte das kleine England die unbesiegbare Armada des mächtigen Spaniens, in dessen Reich die Sonne nie unterging. Und 1625 ließ das Parlament den englischen König köpfen und beendete so eine Institution, die mehr als ein halbes Jahrtausend lang England beherrscht hatte.

Vertheidigter Copernicus, oder curioser und gründlicher Beweiß der Copernicanischen Grundsätze in zweyen Theilen... I. Daß der Mond eine Welt oder Erde. II. Die Erde ein Planet seye... Aus dem Englischen ins Teutsche übersetzet, Leipzig 1713. Wilkens kann somit als einer der frühesten Pioniere der Raumfahrt angesehen werden.

Vertheidigter Copernicus, oder curioser und gründlicher Beweiß der Copernicanischen Grundsätze in zweyen Theilen... I. Daß der Mond eine Welt oder Erde. II. Die Erde ein Planet seye... Aus dem Englischen ins Teutsche übersetzet, Leipzig 1713. Wilkens kann somit als einer der frühesten Pioniere der Raumfahrt angesehen werden.

John Wilkins war 26 Jahre jung, als er Keplers Ideen weiterführte. Er hatte 1634 sein Studium in Oxford mit dem Magister abgeschlossen und danach Astronomie studiert. 1637 wurde er zum Vikar geweiht, doch das änderte nichts an seinem Interesse für die Naturwissenschaften. Wilkins veröffentlichte 1638 The Discovery of a World in the Moone. Nur zwei Jahre später erschien eine erweiterte Überarbeitung seines Werks mit dem Titel A Discourse Concerning the New Planet. Darin behauptete Wilkins, einen Beweis erbringen zu können, dass die Erde nichts anderes sei als ein Stern und dass auf dem Mond Menschen leben würden. Wilkins wurde nicht nur von Kopernikus angeregt, sondern auch von The Man in the Moone, einem sehr erfolgreichen, aber völlig fiktiven Werk, das Bischof Francis Godwin – ebenfalls ein Oxford-Absolvent – in den späten 1620er Jahren verfasst hatte.

John Wilkins wollte keine Fiktion schreiben. Er sah sich als Wissenschaftler und vertrat die Ansicht, dass es nicht schwer sein könne, die Erdanziehung zu überwinden, da diese sich nur etwa 20 Meilen in die Luft erstrecke. Für die Reise entwarf er eine Art geflügelter Kutsche, angetrieben von einem Uhrwerk mit Federn, die mit Hilfe von Schießpulver ins All geschossen werden sollte.

Science Fiction

Satire, wissenschaftliche Arbeiten, das alles ist noch keine Science Fiction im modernen Sinne. Dieses Genre wurde geformt von Jules Verne, der man dafür bezahlte, einem breiten Publikum die Naturwissenschaften (Science) näher zu bringen, indem er sie in packende Geschichten (Fiction) einbettete. Jules Vernes Roman über eine Reise zum Mond erschien 1865 und spiegelte die damalige Gegenwart.

Titelbild der deutschen Übersetzung zu Jules Vernes drittem Roman: Von der Erde zum Mond

Titelbild der deutschen Übersetzung zu Jules Vernes drittem Roman: Von der Erde zum Mond

Kapitel 8: Startrek

Aus Theorie wird Praxis

Eigentlich waren sie als die ultimative Vergeltungs-Waffe der Nazis gebaut, jene V2-Raketen, die die Siegermacht USA als Kriegsbeute in die Vereinigten Staaten verbrachte. Dort schoss man sie nach dem Krieg ins Weltall, und so war es eine V2, die im Herbst des Jahres 1946 die ersten Fotos aus dem Weltall auf die Erde brachte.

Pulp Fiction

Titelbild eines Pulp Fiction Magazins aus dem Jahr 1948

Titelbild eines Pulp Fiction Magazins aus dem Jahr 1948

Nichtsdestotrotz hat Science Fiction ein Imageproblem. Sie gilt als Genre, das eher als Trash denn als wertvolle Literatur bezeichnet wird. Das hängt damit zusammen, dass Science-Fiction-Geschichten gerne in den billigen Groschenheften (im Englischen Pulp Magazines) publiziert wurden. Die Pulp Magazines erlebten ihre Blütezeit von den 1920er bis zu den späten 1940er Jahren. Mehr als eine Million Exemplare wurden von den erfolgreichsten Magazinen pro Ausgabe verkauft. Ihre Autoren wollten nicht wie Jules Verne, ein breites Publikum erziehen. Ihre Beiträge unterhielten, verblüfften und boten ein sicheres Einkommen auch für Autoren, die fähig waren, weit mehr als Trash zu schaffen.

Zu ihnen gehörten Talente wie Ray Bradbury oder Isaak Asimov, deren literarisches Schaffen stark von Pulp Magazines geprägt ist.

Die Mars-Chroniken

Eines der bekanntesten Werke dieser Epoche sind die Mars Chroniken von Ray Bradbury. Die Mars-Chroniken sind nur ein relativ willkürlich gewähltes Beispiel für unzählige einflussreiche Romane, Filme und Fernsehserien, die sich mit der Frage beschäftigen, wie unsere Zukunft im Weltall aussehen könnte.

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